140 BESPRECHUNGEN.
der Ästhetik sind dazu bestimmt, der Wissenschaft von der einzelnen Kunst die
Methode zu geben und sie zu rechtfertigen. Genau das Gegenteil dieses Sinnes sagt
leider die Fortsetzung der Übersetzung: »diese aber, welche, wie gesagt, aus der
Erfahrung geschöpft sind, haben — in philosophische Normen gezwängt (!) — die
Grundlagen der Kunst geschaffen« (S. 299). Es ist bemerkenswert, daß Bartoli
(Venetia 1565) überträgt: »die andern als sozusagen gereinigt wie eine Regel der
Philosophie«. Cognitio als »Erfahrung« ließe sich höchstens im Kantischen Sinn
halten, geistige Erkenntnis wäre die beste Entsprechung. Dolare heißt bearbeiten,
z. B. stipes falce dolatus, also müßte übertragen werden: nach dem Richtscheit der
Philosophie ausgemeißelt. Theuer sagt direkt das Gegenteil. Vielmehr die Philo-
sophie ist für Alberti durchaus das Maßgebende.
Wir wären auf diese Stelle nicht mit solcher Ausführlichkeit eingegangen, legte
sie nicht so eindringlich Zeugnis ab für die Bedeutung Albertis als Ästhetiker. Daß
er nicht Empirist ist, beweist dieses eine Zitat. Er läßt sich aber auch von der
Scylla des Formalismus nicht einschlucken, wie das eine andere von Theuer zu frei
behandelte Stelle dartut (VI, 2, S. 294). Er erkennt nämlich kein an sich Schönes
an. »Sind wir davon überzeugt, so wird der Schmuck gleichsam ein die Schönheit
unterstützender Schimmer und etwa deren Ergänzung sein.« »Daraus erhellt, meine
ich, daß die Schönheit gleichsam dem schönen Körper eingeboren ist und ihn ganz
durchdringt, der Schmuck aber mehr die Natur erdichteten Scheines und äußerer
Zutat habe, als innerlicher Art sei.« Dieser Schluß über das Ornament lautet im
Original: Ortiamentutn autem afficti et compacü naturam magis sapere quam innati;
also äußerlich angefügt und zusammengeschlagen ist das Ornament, wird es nicht
als notwendiges Glied des Ganzen geadelt. Das liegt deutlich am Anfang dieses
Satzes ausgesprochen, ist aber in der Übertragung nur unnötig zusammengezogen:
»damit, meine ich, ist klar, daß Schönheit das ist, was in sich beruhend und not-
wendig durch den ganzen schönen Körper ausgegossen ist«. (Toto esse perfusum
corpore.) Die eigenartige Gesetzlichkeit des Schönen bezeichnet Alberti mit con-
cinnitas, vollständige, erfüllte Harmonie bedeutet das. Sie erzeugt durch die Zu-
sammenstimmung der Teile die Allheit, die Totalität des Kunstwerkes. Aus diesem
Gesichtspunkt fordert der Florentiner: »Daher ist es nötig, daß die Zusammensetzung
der Glieder wohl geplant und vollkommen durchgeführt werde, so daß sie fast aus
Notwendigkeit gemacht scheine und aus Zweckmäßigkeit in solcher Weise, daß es
nicht so sehr darauf ankommt, ob diese und jene Teile überhaupt vorhanden sind,
als vielmehr, daß sie in der Reihenfolge usw. — dort, wo sie gerade liegen, am
vorteilhaftesten angeordnet sind« (VI, 5, S. 306). Necessitas bedeutet hier geradezu
die künstlerische Logik, commoditas die äußeren Rücksichten.
Die Tat des Künstlers erwächst nach Albertis Meinung nicht einer vagen opinio,
sondern einer ratio. »Daß du aber urteilst über die Schönheit, das bewirkt nicht
eine Vermutung, sondern eine gewisse innerliche, angeborene Vernunft.« >Damit ist
nicht der Verstand gemeint, die ratio, sondern quacdam ratio, eine ganz allgemein
gefaßte Kraft, ein ,Vermögen'« (Theuer sagt »Einsicht«). In Rationalismus zu ver-
fallen, hütet sich Alberti wohlweislich. Das Genie ist ihm stets selbstverständliche
Voraussetzung. Aber erst der bewußt Schaffende verdient den Titel eines Künstlers.
Es liefert ihm weder die Ratio der Logik den Maßstab, noch die verschiedenen
Geschmacksurteile, oder die Natur; er hat vielmehr nach ihr zu schaffen, wie die
Natur, d. h. Gesetzlichkeit soll das Kunstwerk durchseelen, es zu einem in sich
selbst begründeten, in sich ruhenden Organismus beleben: »Esse veluti animal aedi-
ficium in quo finiundo naturam imitari opus sit« (IX, 5). Diesen wichtigen Satz
vermisse ich leider bei Theuer. Die Gesetzlichkeit erzeugt die anderen Gebiete der
der Ästhetik sind dazu bestimmt, der Wissenschaft von der einzelnen Kunst die
Methode zu geben und sie zu rechtfertigen. Genau das Gegenteil dieses Sinnes sagt
leider die Fortsetzung der Übersetzung: »diese aber, welche, wie gesagt, aus der
Erfahrung geschöpft sind, haben — in philosophische Normen gezwängt (!) — die
Grundlagen der Kunst geschaffen« (S. 299). Es ist bemerkenswert, daß Bartoli
(Venetia 1565) überträgt: »die andern als sozusagen gereinigt wie eine Regel der
Philosophie«. Cognitio als »Erfahrung« ließe sich höchstens im Kantischen Sinn
halten, geistige Erkenntnis wäre die beste Entsprechung. Dolare heißt bearbeiten,
z. B. stipes falce dolatus, also müßte übertragen werden: nach dem Richtscheit der
Philosophie ausgemeißelt. Theuer sagt direkt das Gegenteil. Vielmehr die Philo-
sophie ist für Alberti durchaus das Maßgebende.
Wir wären auf diese Stelle nicht mit solcher Ausführlichkeit eingegangen, legte
sie nicht so eindringlich Zeugnis ab für die Bedeutung Albertis als Ästhetiker. Daß
er nicht Empirist ist, beweist dieses eine Zitat. Er läßt sich aber auch von der
Scylla des Formalismus nicht einschlucken, wie das eine andere von Theuer zu frei
behandelte Stelle dartut (VI, 2, S. 294). Er erkennt nämlich kein an sich Schönes
an. »Sind wir davon überzeugt, so wird der Schmuck gleichsam ein die Schönheit
unterstützender Schimmer und etwa deren Ergänzung sein.« »Daraus erhellt, meine
ich, daß die Schönheit gleichsam dem schönen Körper eingeboren ist und ihn ganz
durchdringt, der Schmuck aber mehr die Natur erdichteten Scheines und äußerer
Zutat habe, als innerlicher Art sei.« Dieser Schluß über das Ornament lautet im
Original: Ortiamentutn autem afficti et compacü naturam magis sapere quam innati;
also äußerlich angefügt und zusammengeschlagen ist das Ornament, wird es nicht
als notwendiges Glied des Ganzen geadelt. Das liegt deutlich am Anfang dieses
Satzes ausgesprochen, ist aber in der Übertragung nur unnötig zusammengezogen:
»damit, meine ich, ist klar, daß Schönheit das ist, was in sich beruhend und not-
wendig durch den ganzen schönen Körper ausgegossen ist«. (Toto esse perfusum
corpore.) Die eigenartige Gesetzlichkeit des Schönen bezeichnet Alberti mit con-
cinnitas, vollständige, erfüllte Harmonie bedeutet das. Sie erzeugt durch die Zu-
sammenstimmung der Teile die Allheit, die Totalität des Kunstwerkes. Aus diesem
Gesichtspunkt fordert der Florentiner: »Daher ist es nötig, daß die Zusammensetzung
der Glieder wohl geplant und vollkommen durchgeführt werde, so daß sie fast aus
Notwendigkeit gemacht scheine und aus Zweckmäßigkeit in solcher Weise, daß es
nicht so sehr darauf ankommt, ob diese und jene Teile überhaupt vorhanden sind,
als vielmehr, daß sie in der Reihenfolge usw. — dort, wo sie gerade liegen, am
vorteilhaftesten angeordnet sind« (VI, 5, S. 306). Necessitas bedeutet hier geradezu
die künstlerische Logik, commoditas die äußeren Rücksichten.
Die Tat des Künstlers erwächst nach Albertis Meinung nicht einer vagen opinio,
sondern einer ratio. »Daß du aber urteilst über die Schönheit, das bewirkt nicht
eine Vermutung, sondern eine gewisse innerliche, angeborene Vernunft.« >Damit ist
nicht der Verstand gemeint, die ratio, sondern quacdam ratio, eine ganz allgemein
gefaßte Kraft, ein ,Vermögen'« (Theuer sagt »Einsicht«). In Rationalismus zu ver-
fallen, hütet sich Alberti wohlweislich. Das Genie ist ihm stets selbstverständliche
Voraussetzung. Aber erst der bewußt Schaffende verdient den Titel eines Künstlers.
Es liefert ihm weder die Ratio der Logik den Maßstab, noch die verschiedenen
Geschmacksurteile, oder die Natur; er hat vielmehr nach ihr zu schaffen, wie die
Natur, d. h. Gesetzlichkeit soll das Kunstwerk durchseelen, es zu einem in sich
selbst begründeten, in sich ruhenden Organismus beleben: »Esse veluti animal aedi-
ficium in quo finiundo naturam imitari opus sit« (IX, 5). Diesen wichtigen Satz
vermisse ich leider bei Theuer. Die Gesetzlichkeit erzeugt die anderen Gebiete der