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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0147

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BESPRECHUNGEN. 141

Logik und der Ethik in ihrem Eigenwert; sie gibt nun auch der Kunst ihre Recht-
fertigung. Die Eigenart der künstlerischen Gesetzlichkeit beruht in der Erfüllung,
in der Harmonie. Auf diese Weise webt sich nicht nur der Zusammenhang mit
den anderen Gebieten menschlichen Kulturschaffens, sondern auch die Krönung und
Erlösung aus der ewigen Aufgegebenheit, dem unendlichen Fortrollen und Wogen
des Fieri leuchtet empor: das Kunstwerk wird Symbol der Allheit.

Die Eigenheit des Organismus besteht in der Einzigkeit der Zusammenstimmung
seiner Teile. Das fließt notwendig aus Albertis Schönheitsbegriff. Genau dazu
stimmt der Ausspruch (II, 5): Credo equiden formam, dignitatem, venustatem et
quaenim similia in his consistere: quae si ademeris aut minuas sive Unmutes: itlico
vitentur et pereant. »Ich bin der Überzeugung, daß Formvollendung, Würde, Schön-
heit und dergleichen (d. h. wie man es nennen mag) in jenen Dingen bestehen,
die, fortgenommen, vermindert oder geändert, auf einmal häßlich würden und ver-
gingen.« Den wichtigen und doch klaren Sinn dieses Satzes hat Theuer ganz ver-
dreht (S. 491): »...wenn man die Gestalt, Würde usw. wegnimmt, vermindert
oder verändert, daß sie sofort verdorben werden und verloren gehen«. Das Richtige
besagt der bei Theuer (IX, 7, S. 506) fehlende Satz: Die Teile müssen so zuein-
ander passen, »daß sie wie an jenem passendsten Orte geboren scheinen und wie
damit verwachsen«.

Nach diesen Vorüberlegungen wird uns die entscheidende Definition von
Albertis Schönheitsbegriff einleuchtend sein (IX, 5, S. 492: die Abweichungen von
Theuer liegen in der Wortwahl im Interesse der Präzisierung des Gedankens): »Die
Schönheit ist eine gewisse Übereinstimmung und ein Zusammenklang der Teile zu
einem Ganzen (consensus et conspiratio) gemäß einer bestimmten Zahl, Propor-
tionalität und Ordnung, so wie es die concinnitas, d. h. das absolute und oberste
Naturgesetz (absoluta primariaque ratio naturae) fordert.« Die Harmonie ist also
kein Begriff, der über der Schönheit stehend sie umfaßt, sondern sie ist die ästhe-
tische Idee selbst, ist die Schönheit. Sieht der Mensch das Universum in solcher
in sich ruhender Gesetzlichkeit, so darf er es schön nennen. Wie durch einen
Wolkenriß leuchtet hier Albertis Metaphysik hinein, aber sie ist nie von ihm zum
Grund seiner Ästhetik und Kunstwissenschaft gemacht, ist nur Abschluß, Krone.

Dem Schönen wohnt eine seltsame Kraft inne, die »die Seelen erweckt und
sogleich fühlbar ist«; fehlt sie, so wird sie in verstärktem Maße herbeigesehnt (IX, 8,
S. 509, etwas anders). Der von Alberti verwendete Ausdruck sentire bedeutet nicht
subjektives Gefühl, sondern eine bestimmte Richtung des vollentwickelten mensch-
lichen Bewußtseins überhaupt: Judicium insitum natura animis hominum (IX, 7).
Er erkennt gerade die wichtige Aufgabe einer transzendentalen Begründung der
Ästhetik. Die in der erfüllten Harmonie gegründete Eigengesetzlichkeit der Kunst
garantiert allgemein gültige Urteile.

Die letzte Frage einem Kunstwerk gegenüber wird die sein: Ist die durchgehende
Zusammenstimmung zu einer Harmonie erfüllt? Eine Reihe von Einzelaussagen
hat diese Endantwort zu begründen. Sie legen Zeugnis ab, ob und wieweit und
inwiefern der Künstler das Chaos des Stoffes geformt hat, um die geforderte Ein-
heit, die Totalität zu erreichen. Es muß also Vereinheitlichungsweisen geben, mit
deren Hilfe der Künstler organisiert, auf deren Krücke gestützt der nachtastende
Kritiker und Beschauer sich zum Wesenspunkte des Werkes hinsucht. Alberti stellt
drei solcher Kategorien auf: numerus, finitio, collocatio. Das sind nicht heteronome
logische Gesetze, etwa Quantität, Qualität und Relation, sondern sie werden ihres
logischen Makels entkleidet und ästhetisch umgeformt durch den obersten Grundsatz
der Harmonie. Das muß in der Übersetzung dieser Termini zum Ausdruck gebracht
 
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