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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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Scholz, Wilhelm von: Das Schaffen des dramatischen Dichters
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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0191

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DAS SCHAFFEN DES DRAMATISCHEN DICHTERS. 185

Es ist nicht möglich, vom Schaffen des Dramatikers zu sprechen
und nicht wenigstens ein kurzes Wort über sein Verhältnis zur Bühne
zu sagen. Die Generation der ganz theaterfremden Stückdichter ist
wohl ebenso im Aussterben wie die Meinung, die an sie noch manch-
mal erinnert: daß die Dramatiker auf der Bühne Schwäne auf dem
Lande seien und dort nichts zu suchen hätten. Das mag für heute
wohl nur noch bei ersten tastenden Versuchen gelten. Dann aber
muß der Dramatiker einer erzogenen Generation, der nicht Verkünder
verschwommener Visionen, sondern Raumkünstler, Gestalter ist, aus
dem Schüler der Bühne ihr Meister geworden sein, sie praktisch be-
herrschen wie der Bildhauer Ton, Wachs und Stein, ihre technischen
und sonstigen Mittel, vor allem den Schauspieler, kennen und lieben,
muß ein Werk einrichten und Regie führen können. Nicht um das
immer auszuüben, wohl aber, um das Instrument, auf dem er spielt,
immer sicherer, unbewußter, instinktiver in seiner Vorstellung zu tragen,
um aus den Möglichkeiten des Materials ebenso Schaffensanregung
und -bereicherung zu ziehen wie aus den Lebenswirklichkeiten, die
ihn umgeben. Ich glaube, daß die eine Halbkugel der inneren Shake-
spearischen Welt die Bühne war, sicher nicht minder groß als die
andere, das Leben.

Lassen Sie mich zum Schluß das spezifische Schaffen des dramati-
schen Geistes noch einmal so zusammenfassen: es ist ein inneres
Erleben, in welchem jede Vorstellung eine Gegenvorstellung wie ihren
Schatten zeugt, der mit ihr wächst, in den plötzlich das Leben über-
springt; es ist ein Dialog von Willen, den — entgegen den Dialogen
von Meinungen — ein anderer führt als die Zwiesprache haltenden:
unvorberechnetes Sichergeben, Zufall, Leidenschaft und Schicksal; es
ist eine Debatte ganz unlogischer, halb oder ganz antithetischer, viel-
leicht in sich sinnloser, aber ihr Dasein behauptender Wirklichkeiten,
nicht mit Gründen, sondern mit Kräften. Es ist nicht das Durch-
und Zuendedenken einer Sache, sondern das Gegeneinandervorstellen
ihrer Möglichkeiten, der innere Prozeß nicht eines harmonischen klaren
Menschen, sondern der auf- und absteigende Atem eines nach jeder
errungenen Harmonie wieder mit sich zerfallenden, nach jeder als
Drama geschaffenen Klarheit wieder in Dunkel sinkenden, seine Kon-
flikte schließlich nie mehr anders als durch raumhafte Gestaltung
überwindenden Menschen.
 
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