202 KARL GROOS.
der »sanfte« Flug und das freie »Schweben« hervorgehoben. Über
die Farbe macht der Dichter keine Angabe. Die meisten Versuchs-
personen haben jedoch übereinstimmend (man kann hier an Marbes
Untersuchungen über die »Gleichförmigkeit des psychischen Ge-
schehens«, Zeitschrift für Psychol. Bd. 56, erinnern) weiße Tauben
gesehen, die sich von der Umgebung oder dem Hintergrund stark
abhoben, wie das in einzelnen Fällen auch besonders betont wird.
So schreibt Nr. 16: »Die Tauben hoben sich in glänzendem Weiß
vom dunkeln Hintergrund ab; dieser Eindruck ist der stärkste des
Bildes.« Und Nr. 20 sagt: »Die Tauben in blendendem Weiß, die
sich von dem azurblauen Himmel stark abheben.« Man kann es
diesen Worten anfühlen, daß hier das koloristische Vorstellen kräftig
in den poetischen Eindruck hereinwirkte. In der Tat hat auch die
Versuchsperson Nr. 20 die Schlußfrage dahin beantwortet, daß neben
dem Gefühl des Schwebens »die blendenden Farben« die Grundlage
des Genießens bildeten.
Ehe wir das Gebiet des visuellen Erlebens verlassen, sei noch die
wichtige Frage berührt, wie sich die Seele mit dem Neben-
einander von Haupt- und Vergleichsobjekt abfindet. In
allen Versuchsgruppen wurde sehr häufig beides anschaulich vor-
gestellt. Muß das nicht eher schädlich als förderlich wirken? Unter
den Tübinger Protokollen bietet Nr. 3 eine Bestätigung dieser Ver-
mutung. Hier wird zunächst die Eingangsfrage mit der Bemerkung
bejaht, daß namentlich die Schönheit der Verse aufgefallen sei. Die
Gestalten der Verdammten (Hauptobjekt) zogen vor einem fahl be-
leuchteten Hintergrund von rechts nach links vorbei. Die Tauben
flogen mit langgestrecktem Körper und weit ausgebreiteten Flügeln
vorüber; ihre Farbe war unbestimmt grau. Beides wechselte so, daß
bei der Einleitung des Vortragenden die menschlichen Gestalten er-
schienen, beim Beginn des Zitats die Tauben, dann wieder die Ge-
stalten. Und zum Schlüsse heißt es: »Die Bilder gingen ineinander
über; der ästhetische Eindruck kein einheitlicher; Gefühl
der Störung durch den Wechsel der Bilder.«
In anderen Fällen war aber das Resultat günstig. Unter welchen
Bedingungen das stattfindet, kann ich meinem Material nicht sicher
entnehmen. Manchmal möchte man vermuten, daß die (freilich nur selten
festgestellte) Unvollständigkeit des Geschauten ein Zusammenwirken
erleichtert. So hat Nr. 10 der Tübinger Versuche einen ziemlich starken
ästhetischen Eindruck erlebt, wobei das Auftauchen der Bilder, das von
einem »deutlichen Lustgefühl« begleitet war, als förderlich bezeichnet
wurde. Die Bilder der Haupt- und Vergleichsobjekte traten nacheinander
auf, aber beide »nurganz schwach (schemenhaft)«, »gewissermaßen
der »sanfte« Flug und das freie »Schweben« hervorgehoben. Über
die Farbe macht der Dichter keine Angabe. Die meisten Versuchs-
personen haben jedoch übereinstimmend (man kann hier an Marbes
Untersuchungen über die »Gleichförmigkeit des psychischen Ge-
schehens«, Zeitschrift für Psychol. Bd. 56, erinnern) weiße Tauben
gesehen, die sich von der Umgebung oder dem Hintergrund stark
abhoben, wie das in einzelnen Fällen auch besonders betont wird.
So schreibt Nr. 16: »Die Tauben hoben sich in glänzendem Weiß
vom dunkeln Hintergrund ab; dieser Eindruck ist der stärkste des
Bildes.« Und Nr. 20 sagt: »Die Tauben in blendendem Weiß, die
sich von dem azurblauen Himmel stark abheben.« Man kann es
diesen Worten anfühlen, daß hier das koloristische Vorstellen kräftig
in den poetischen Eindruck hereinwirkte. In der Tat hat auch die
Versuchsperson Nr. 20 die Schlußfrage dahin beantwortet, daß neben
dem Gefühl des Schwebens »die blendenden Farben« die Grundlage
des Genießens bildeten.
Ehe wir das Gebiet des visuellen Erlebens verlassen, sei noch die
wichtige Frage berührt, wie sich die Seele mit dem Neben-
einander von Haupt- und Vergleichsobjekt abfindet. In
allen Versuchsgruppen wurde sehr häufig beides anschaulich vor-
gestellt. Muß das nicht eher schädlich als förderlich wirken? Unter
den Tübinger Protokollen bietet Nr. 3 eine Bestätigung dieser Ver-
mutung. Hier wird zunächst die Eingangsfrage mit der Bemerkung
bejaht, daß namentlich die Schönheit der Verse aufgefallen sei. Die
Gestalten der Verdammten (Hauptobjekt) zogen vor einem fahl be-
leuchteten Hintergrund von rechts nach links vorbei. Die Tauben
flogen mit langgestrecktem Körper und weit ausgebreiteten Flügeln
vorüber; ihre Farbe war unbestimmt grau. Beides wechselte so, daß
bei der Einleitung des Vortragenden die menschlichen Gestalten er-
schienen, beim Beginn des Zitats die Tauben, dann wieder die Ge-
stalten. Und zum Schlüsse heißt es: »Die Bilder gingen ineinander
über; der ästhetische Eindruck kein einheitlicher; Gefühl
der Störung durch den Wechsel der Bilder.«
In anderen Fällen war aber das Resultat günstig. Unter welchen
Bedingungen das stattfindet, kann ich meinem Material nicht sicher
entnehmen. Manchmal möchte man vermuten, daß die (freilich nur selten
festgestellte) Unvollständigkeit des Geschauten ein Zusammenwirken
erleichtert. So hat Nr. 10 der Tübinger Versuche einen ziemlich starken
ästhetischen Eindruck erlebt, wobei das Auftauchen der Bilder, das von
einem »deutlichen Lustgefühl« begleitet war, als förderlich bezeichnet
wurde. Die Bilder der Haupt- und Vergleichsobjekte traten nacheinander
auf, aber beide »nurganz schwach (schemenhaft)«, »gewissermaßen