DAS ANSCHAULICHE VORSTELLEN BEIM POETISCHEN GLEICHNIS. 203
nur angedeutet«. Hierauf folgte, indem die Bilder der Tauben unmerklich
verschwanden, der Eindruck »des Schwebens auf den Zuschauer
zu«, und es wird hinzugefügt: »Gefühl des starken Hinziehens«. Man
gewinnt hier ein Verständnis für die Möglichkeit, daß die visuellen
Vorstellungen gerade infolge ihrer geringen Bestimmtheit zu einem
Gesamteindruck zusammenfließen können: es bleibt schließlich nur ein
schattenhaftes Etwas, was heranschwebt und das (vielleicht kinästhetisch
bedingte) »Gefühl des starken Hinziehens« auslöst. Die Einsicht, daß
auf solche Weise allerlei Verschmelzungen entstehen können, wird
durch ein anderes Protokoll (Tübingen, Nr. 17) unterstützt. »Zunächst«,
heißt es dort, »tauchte das Bild von einem Paar Tauben auf, die dem
Schlage zuflogen. Dann erst stellte sich die Vorstellung der Ver-
dammten ein, verband sich aber mit der ersten Vorstellung,
so daß manches vom ersten Bild ins zweite überging und
diesem besondere Anmut verlieh.« Es wurde dann noch hinzu-
gefügt: »Die Tauben sind weiß; schmiegen sich beim Fluge
zärtlich und ängstlich aneinander.« Und zur Schlußfrage:
»Die sinnlichen Vorstellungen waren dem ästhetischen Genießen förder-
lich. Durch die Verschmelzung der beiden Bilder wurden leb-
hafte Gefühle geweckt.« Die sich aneinanderschmiegenden Tauben
sind ein Beweis für diesen Verschmelzungsprozeß.
Ich führe, da diese eigentümlichen Vorgänge ein genaueres Studium
verdienen, noch einige Aufzeichnungen aus den Gießener Protokollen
(Taubengleichnis) an. Nr. 32 sah zwei weiße Tauben rasch dahin-
fliegen, »außerdem Dido, ruhig stehend«, die verdammten Seelen
jedoch gar nicht. Nr. 31 stellte die Tauben vor (bläulich-hellgrau), die
dem deutlich gesehenen Neste zustrebten; die Seelen ganz schatten-
haft, »wie räumlich dahintergestellt«. Nr. 29 schreibt: »Die
Gestalten nur im Bilde der Tauben gesehen.« Nr. 22 spricht von
den »taubengrauen Gewändern«. Dieselbe Versuchsperson be-
tont, bei dem Sandgleichnis alles in einem Bilde gesehen zu haben.
Nr. 9 erblickte die Gestalten »vor einer hohen grauen Nebelwand, die
sich bewegt; aus diesem Nebel lösten sich auch die Tauben heraus«1).
Diese Beispiele zeigen, daß man die »inneren Bilder« nicht so ansehen
darf, als ob es sich dabei um festgegliederte, beharrliche Komplexe
handelte, die als etwas Unvereinbares nebeneinander stehen würden.
Ihre Flüchtigkeit und Unvollständigkeit, die die Lebhaftigkeit einzelner
Züge nicht ausschließt, läßt manchmal die merkwürdigsten Verschie-
bungen und Verbindungen zu. Ich glaube, daß sich aus dem Studium
') Über die Bedeutung des »background« vgl. Downey, a. a. O., S. 17 f. —
Müller-Freienfels betont das Bedürfnis, sich den »räumlichen Schauplatz« anschau-
lich vorzustellen (»Psychologie der Kunst«, I, S. 70).
nur angedeutet«. Hierauf folgte, indem die Bilder der Tauben unmerklich
verschwanden, der Eindruck »des Schwebens auf den Zuschauer
zu«, und es wird hinzugefügt: »Gefühl des starken Hinziehens«. Man
gewinnt hier ein Verständnis für die Möglichkeit, daß die visuellen
Vorstellungen gerade infolge ihrer geringen Bestimmtheit zu einem
Gesamteindruck zusammenfließen können: es bleibt schließlich nur ein
schattenhaftes Etwas, was heranschwebt und das (vielleicht kinästhetisch
bedingte) »Gefühl des starken Hinziehens« auslöst. Die Einsicht, daß
auf solche Weise allerlei Verschmelzungen entstehen können, wird
durch ein anderes Protokoll (Tübingen, Nr. 17) unterstützt. »Zunächst«,
heißt es dort, »tauchte das Bild von einem Paar Tauben auf, die dem
Schlage zuflogen. Dann erst stellte sich die Vorstellung der Ver-
dammten ein, verband sich aber mit der ersten Vorstellung,
so daß manches vom ersten Bild ins zweite überging und
diesem besondere Anmut verlieh.« Es wurde dann noch hinzu-
gefügt: »Die Tauben sind weiß; schmiegen sich beim Fluge
zärtlich und ängstlich aneinander.« Und zur Schlußfrage:
»Die sinnlichen Vorstellungen waren dem ästhetischen Genießen förder-
lich. Durch die Verschmelzung der beiden Bilder wurden leb-
hafte Gefühle geweckt.« Die sich aneinanderschmiegenden Tauben
sind ein Beweis für diesen Verschmelzungsprozeß.
Ich führe, da diese eigentümlichen Vorgänge ein genaueres Studium
verdienen, noch einige Aufzeichnungen aus den Gießener Protokollen
(Taubengleichnis) an. Nr. 32 sah zwei weiße Tauben rasch dahin-
fliegen, »außerdem Dido, ruhig stehend«, die verdammten Seelen
jedoch gar nicht. Nr. 31 stellte die Tauben vor (bläulich-hellgrau), die
dem deutlich gesehenen Neste zustrebten; die Seelen ganz schatten-
haft, »wie räumlich dahintergestellt«. Nr. 29 schreibt: »Die
Gestalten nur im Bilde der Tauben gesehen.« Nr. 22 spricht von
den »taubengrauen Gewändern«. Dieselbe Versuchsperson be-
tont, bei dem Sandgleichnis alles in einem Bilde gesehen zu haben.
Nr. 9 erblickte die Gestalten »vor einer hohen grauen Nebelwand, die
sich bewegt; aus diesem Nebel lösten sich auch die Tauben heraus«1).
Diese Beispiele zeigen, daß man die »inneren Bilder« nicht so ansehen
darf, als ob es sich dabei um festgegliederte, beharrliche Komplexe
handelte, die als etwas Unvereinbares nebeneinander stehen würden.
Ihre Flüchtigkeit und Unvollständigkeit, die die Lebhaftigkeit einzelner
Züge nicht ausschließt, läßt manchmal die merkwürdigsten Verschie-
bungen und Verbindungen zu. Ich glaube, daß sich aus dem Studium
') Über die Bedeutung des »background« vgl. Downey, a. a. O., S. 17 f. —
Müller-Freienfels betont das Bedürfnis, sich den »räumlichen Schauplatz« anschau-
lich vorzustellen (»Psychologie der Kunst«, I, S. 70).