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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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Doehlemann, Karl: Über dekorative Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0394

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388 KARL DOEHLEMANN.

kann die Malerei die gleiche Aufgabe lösen, indem sie die Fläche
dazu benützt, uns einen anderen Raum im Bilde wiederzugeben. So
kann z. B. auf der Wand der Blick in einen zweiten Raum dargestellt
werden als eine Fortsetzung des wirklichen Raumes. Der künstlerische
Effekt bei dieser Art von Dekoration wird der sein, daß der ursprüng-
liche Raum dadurch scheinbar vergrößert und erweitert wird. Wir
veranschaulichen dies durch eine Wand des Palazzo Labia in Venedig
(Abb. 1). Hier stellt der Künstler, Tiepolo, dar, wie Antonius die als
Rokokodame erscheinende Kleopatra auf das Schiff geleitet. Dadurch,
daß die Treppe unten sich direkt an den Fußboden anzuschließen
scheint, ferner durch den Durchblick, der in den Fenstern rechts und
links von den beiden Türen dargestellt ist, wird die Illusion, daß
wir in den freien Raum hinaussehen, so stark als möglich angeregt.

Hier ist auch die Deckenmalerei zu nennen, welche in hervor-
ragendem Maße zur Erhöhung der Innenräume verwendet werden kann,
indem sie beispielsweise die Architektur des gegebenen Raumes fort-
setzt.

Ich habe in früheren Untersuchungen J) diese Art von Malerei als
Illusionsmalerei bezeichnet: nur mit einem Worte muß ich, um den
Gegensatz zum Folgenden zu illustrieren, auf eine charakteristische
Eigentümlichkeit dieser Dekorationsmethode hinweisen.

Das Wesentliche derselben besteht darin, daß sie sozusagen einen
realen Raum darstellt, der sich an den wirklichen Raum, in dem sich
der Beschauer befindet, anschließt. Es soll also eine Art Täuschung
im Beschauer erweckt werden, und deswegen bleibt in den meisten
Fällen der Rahmen des Bildes weg. Denn gerade der Rahmen grenzt
ja den idealen Bildraum gegen den realen ab. Fällt er fort, so ist da-
mit angedeutet, daß der reale Raum sich im Bilde fortsetzen soll.

Diese dekorative Wandmalerei überschreitet zuweilen die Grenze,
die der Architekt ihr stellt, indem sie überhaupt keine strengen Be-
grenzungen mehr bestehen läßt und dafür irrationale Flächen, z. B. eine
Landschaft oder einen Wolkenhimmel einführt. Wenn etwa an der
Decke eine Himmelfahrt dargestellt ist und der Blick sich in duftige
Wolken verliert, so tritt eben an Stelle einer architektonischen
Wirkung eine malerische.

3. Die beiden genannten Möglichkeiten stellen die extremen Fälle
dar und sie waren leicht begrifflich zu fixieren. In der Mitte zwischen
beiden steht der folgende dritte Fall. Es ist möglich, daß man einerseits
auf den figuralen Schmuck der Wand nicht verzichten will, daß man

') Raumkunst und Illusionsmalerei: Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-
Vereinigung 14. Bd., 1905.
 
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