WELTANSCHAUUNG UND KUNSTFORM VON SHAKESPEARES DRAMA. 517
sie umstellt hat, zu Tode getroffen ist. Sie hat das heilige Feuer ihres
Altars erstickt, weil es den ganzen Tempel zu vernichten drohte. Sie
hat zerstört, was nun ihr höchster Wert und ihre größte Bereicherung
war. Denn in dem stärksten Leben beweist sich ihr der Sinn und
Wert des Lebens selbst. Das Ganz- und Für-sich-sein des Lebens
ist ganz in das einzige Leben des großen Menschen eingegangen, der
sein eigener Gott, sein eigener Sinn, »sein« Recht und »seine« Recht-
fertigung ist, wie das Leben selbst, und der die Kraft hat, das Leben
in seiner Zwiespältigkeit zu bejahen, in der Tragik eines absoluten
Seins innerhalb eines endlichen Lebens und endlicher Bedingungen um
einen unbedingten Willen.
4. Man nennt die letzten Stücke Shakespeares romantisch. Sie sind
es in dem gleichen Sinne wie der Hamlet pessimistisch ist. Innerhalb
Shakespeares Welt, von ihm aus gesehen, erscheinen sie in einer ge-
wissen romantischen Färbung. Wirklicher Romantik gegenüber zeigen
gerade sie, wie durchaus antik Shakespeare selbst dort geblieben ist,
wo sonst die Alterswerke ein Ausschweifen in weniger bestimmte,
unkörperliche Regionen anzudeuten scheinen.
Traumstimmung liegt über der Insel Prosperos. Miranda schläfert
es, als Prospero es wünscht. Schlafstimmung senkt sich über die
Gestrandeten herab, als nur Antonio und Sebastian wach bleiben.
Traumhaft gerät das Schicksal des kleinen Reiches nach dem Willen
des Zaubermeisters. Die Bühne ist Shakespeare stets, nicht nur im
Geschehen, ein Bild des Zeitalters, sondern auch als Bühne ein Bild
des Lebens selbst. Sie ist ihm das stärkste Gleichnis für die Ver-
gänglichkeit, für die Verschwisterung von Schein und Wirklichkeit in
unserem eigenen Leben. Spiel im Spiel: so hält die Bühne dem
Leben den Spiegel vor. »Das Fest ist jetzt zu Ende; unsre Spieler,
Wie ich euch sagte, waren Geister und Sind aufgelöst in Luft, in
dünne Luft. Wie dieses Scheines lockrer Bau, so werden Die wolken-
hohen Türme, die Paläste, Die hehren Tempel, selbst der große Ball,
Ja, was daran nur teil hat, untergehn; Und, wie dies leere Schau-
gepräng' erblaßt, Spurlos verschwinden. Wir sind solcher Zeug Wie
der zu Träumen, und dies kleine Leben Umfaßt ein Schlaf.«
Aber wenn auch dem gereiften Blick Prosperos das Leben als
Traum erscheint: er selbst weiß und beherrscht diesen Traum. An
seiner Wirklichkeit zweifelt er nicht. An der Unendlichkeit gemessen
wird unser ganzes Leben nichtig und schattenhaft; für uns selbst
behält es die größte Bedeutung. Eine leise Melancholie kennzeichnet
Prospero gegenüber der naiven Freude und Entzückung der jungen
Leute. Miranda bewundert die Menschen: »ein wackres Schiff, Das
sicher herrliche Geschöpfe trug;« »O Wunder! Was gibt's für herr-
sie umstellt hat, zu Tode getroffen ist. Sie hat das heilige Feuer ihres
Altars erstickt, weil es den ganzen Tempel zu vernichten drohte. Sie
hat zerstört, was nun ihr höchster Wert und ihre größte Bereicherung
war. Denn in dem stärksten Leben beweist sich ihr der Sinn und
Wert des Lebens selbst. Das Ganz- und Für-sich-sein des Lebens
ist ganz in das einzige Leben des großen Menschen eingegangen, der
sein eigener Gott, sein eigener Sinn, »sein« Recht und »seine« Recht-
fertigung ist, wie das Leben selbst, und der die Kraft hat, das Leben
in seiner Zwiespältigkeit zu bejahen, in der Tragik eines absoluten
Seins innerhalb eines endlichen Lebens und endlicher Bedingungen um
einen unbedingten Willen.
4. Man nennt die letzten Stücke Shakespeares romantisch. Sie sind
es in dem gleichen Sinne wie der Hamlet pessimistisch ist. Innerhalb
Shakespeares Welt, von ihm aus gesehen, erscheinen sie in einer ge-
wissen romantischen Färbung. Wirklicher Romantik gegenüber zeigen
gerade sie, wie durchaus antik Shakespeare selbst dort geblieben ist,
wo sonst die Alterswerke ein Ausschweifen in weniger bestimmte,
unkörperliche Regionen anzudeuten scheinen.
Traumstimmung liegt über der Insel Prosperos. Miranda schläfert
es, als Prospero es wünscht. Schlafstimmung senkt sich über die
Gestrandeten herab, als nur Antonio und Sebastian wach bleiben.
Traumhaft gerät das Schicksal des kleinen Reiches nach dem Willen
des Zaubermeisters. Die Bühne ist Shakespeare stets, nicht nur im
Geschehen, ein Bild des Zeitalters, sondern auch als Bühne ein Bild
des Lebens selbst. Sie ist ihm das stärkste Gleichnis für die Ver-
gänglichkeit, für die Verschwisterung von Schein und Wirklichkeit in
unserem eigenen Leben. Spiel im Spiel: so hält die Bühne dem
Leben den Spiegel vor. »Das Fest ist jetzt zu Ende; unsre Spieler,
Wie ich euch sagte, waren Geister und Sind aufgelöst in Luft, in
dünne Luft. Wie dieses Scheines lockrer Bau, so werden Die wolken-
hohen Türme, die Paläste, Die hehren Tempel, selbst der große Ball,
Ja, was daran nur teil hat, untergehn; Und, wie dies leere Schau-
gepräng' erblaßt, Spurlos verschwinden. Wir sind solcher Zeug Wie
der zu Träumen, und dies kleine Leben Umfaßt ein Schlaf.«
Aber wenn auch dem gereiften Blick Prosperos das Leben als
Traum erscheint: er selbst weiß und beherrscht diesen Traum. An
seiner Wirklichkeit zweifelt er nicht. An der Unendlichkeit gemessen
wird unser ganzes Leben nichtig und schattenhaft; für uns selbst
behält es die größte Bedeutung. Eine leise Melancholie kennzeichnet
Prospero gegenüber der naiven Freude und Entzückung der jungen
Leute. Miranda bewundert die Menschen: »ein wackres Schiff, Das
sicher herrliche Geschöpfe trug;« »O Wunder! Was gibt's für herr-