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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0576

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BESPRECHUNGEN. 555

weit weniger von der empirischen Psychologie unterscheidet, als der Verfasser selbst
es meint. Eine große Reihe seiner Ausführungen könnte, ohne aufzufallen und
ohne ein Novum zu geben, einem experimentell psychologischen Werke eingereiht
werden, wie denn auch Schmied-Kowarzik ganze Gedankengänge der üblichen
Psychologie unbefangen benutzt. Er bleibt durchaus nicht in der Analyse des
Phänomens selbst, sondern er zieht sowohl experimentelle als auch anderweitig ge-
wonnene Ergebnisse mit heran, wo er pure apodiktische Analyse zu geben glaubt.
So wenn er den Schnitt (als Empfindungsqualität) einen linear ausgedehnten Stich
sein läßt (nach Ebbinghaus), so wenn er sagt, daß sich die Spannungsempfindungen
der Haut, der Muskeln, Sehnen usw. vielleicht als ein und dieselbe Empfin-
dungsart erweisen können. Was soll dieses Vielleicht bei einer »apodiktischen«
Analyse der Empfindung? Ein Vielleicht gibt es für die erklärende Psychologie, die
noch empirischer Bestätigung ihrer Theorie oder physikalischer Theorien bedarf, nicht
für die apodiktische Analyse der Empfindung selbst; diese kann nicht »vielleicht«
anders sein, sondern kann sich nur vielleicht anders deuten und einreihen lassen.
Wo Schmied-Kowarzik sein analytisches Ergebnis dem empirischen gegenüber kon-
trastiert, läuft es auf (für die Psychologie) ganz leere Sätze hinaus, so wenn er
dem empirischen Urteil: die Blätter dieses Baumes sind grün, die Früchte goldgelb,
den analytischen Satz gegenüberstellt: »Grün und gelb sind verschieden, Blätter und
Früchte sind unterscheidbare Teile des Baumes.« Was fängt man mit diesen Sätzen
in der Psychologie an? Die Begriffe des Verschiedenen und Gleichen müssen von ihr
schon vorausgesetzt werden, und ihr streng analytischer Gehalt ist da zu Haus, wo
über Identität und Andersheit, Gleichheit und Verschiedenheit diskutiert wird, wofür
aber die Psychologie nicht die begründende Instanz ist. Will Schmied-Kowarzik aber
seine Behauptungen psychologischer Art als apodiktische geben — tantam abest ut,
quin — um nichts weiter zu sagen. So wenn er, vielleicht vom fixierten Ton des
temperierten Klaviers oder bestimmter Instrumente ausgehend (nach Jodl), behauptet,
daß die Intensität des Tons nicht an Qualitäten, d. h. absolute Höhe, gebunden ist,
derselbe Ton also in verschiedenen Abstufungen der Klangstärke gegeben werden kann.
Besinnen wir uns darauf, daß gewisse Instrumente mit der Stärke die Höhe des
Tons variieren, so stimmt die Behauptung schon nicht. Eine apodiktische Behaup-
tung kann aber nicht durch empirische Fakta widerlegt werden. Ähnliche Anfecht-
barkeiten, die an sich selbstverständlich sind, aber nur bei ihrer Prätention auf-
fallen, finden wir auf Schritt und Tritt. Völlig ins Leere gerät die Analyse, wenn
sie die Farbenharmonie (die ganz ästhetisch primitiv mit den Kontrastfarben als
identisch gesetzt wird, Rot und Grün usw.) als Beziehung von Qualitäten definiert,
die je nach ihrem positiven oder negativen Charakter (Harmonie oder Dis-
harmonie) ein Gefühl der Freude oder der Unlust hervorruft. Was ist denn der
»positive« Charakter, psychologisch betrachtet, anders als eben die Bewertung durch
Freude, die Definition ist also hier im schlimmsten Sinne Tautologie: Freude macht,
was Freude macht, oder positiv (Harmonie) ist, was positiv (als Freude) bewertet wird.
Es ließe sich noch Ungezähltes über dies umfangreiche Werk sagen, das, außer
bei langen Referaten oder zur Genüge bekannten Gedankengängen, fast auf jeder
Seite Widerspruch weckt. Der Grundirrtum liegt in der kritiklosen Verschmelzung
des Begriffes des Analytischen im streng apodiktischen Sinn und der Analyse über-
haupt. Schmied-Kowarzik eifert gegen die einseitige Belastung des Begriffs ana-
lytisch im Kantischen Sinne und weist auf die weitere Bedeutung des Begriffs im
wissenschaftlichen Sprachgebrauch hin. Gewiß braucht man nicht sich an die Kantische
Bedeutung zu halten, aber man darf dann auch nicht den damit ver-
knüpften apodiktischen Charakter einfach auf alles übertragen,
 
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