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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0594

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BESPRECHUNGEN. 583

dies festzustellen und dann sich umzudrehn? Eine formelle Entwicklung hat nichts
zu sagen, oder sie muß mit den bekannten Künsten, die wir glücklich verlernt zu
haben glaubten, als Symbol einer geänderten Weltanschauung gedeutet werden?

Pathos und billige Wendungen gegen die Verächter der Philosophie ersetzen die
Überlegung. Von der Logik eine Probe aus dem Abschnitt über Viktor Hugo, der
doch das Beste an dem Vortrag ist (besonders S. 27): »Er selber beanspruchte
durchaus als ernsthafter Philosoph genommen zu werden, und er ist tatsächlich
durch seine Weltanschauung so sehr wie durch seine Kunst der volkstümlichste
Dichter des modernen Frankreich geworden.« Ist das nicht köstlich? Wie viel
besser träfe der umgekehrte Schluß zu: da er aber tatsächlich nur die Weltanschau-
ung seiner Zeitgenossen besaß, konnte er durch sie populär werden, viel mehr
sogar als durch seine wirklich bedeutende Kunst! Was sich halten läßt, ist schließ-
lich nur, daß es sich um einen Kampf der Persönlichkeiten handelt und daß diese
verschieden denken (vgl. S. 15). Aber wie unterscheidet sich dann eigentlich die
Literaturgeschichte z.B. von der Geschichte der Malerei, da in Gemälden doch un-
zweifelhaft ebenfalls »Weltanschauung« niedergelegt wird? Literaturgeschichte ist
Geschichte der Ideen, jawohl, aber der literarischen. Sie zu einem Ausschnitt der
»Weltanschauungsgeschichte« zu machen, heißt aus einem Organismus eine Bei-
spielsammlung machen — ein Verfahren, das weder durch den Hinweis auf häufige
Oberflächlichkeit in literarhistorischen Darstellungen gerechtfertigt werden kann,
noch mit dem jetzt so beliebten Anrufen von Diltheys Namen, der keine Verken-
nung der wesentlichsten »Strukturunterschiede« schützen kann.

Berlin.

Richard M. Meyer.

Johannes Volkelt, System der Ästhetik. Dritter Band: Kunstphilosophie und
Metaphysik der Ästhetik. C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, Oskar Beck;
München 1914. gr. 8°. XXIV u. 590 S.
Mit dem Erscheinen des vorliegenden Bandes ist das »System der Ästhetik«
vollendet, das weitaus umfassendste Werk, das unsere Wissenschaft in der letzten
Zeit hervorgebracht hat. Wenn es auch mit Recht verpönt ist, Bücher nach ihrer
»Dicke« zu beurteilen, so muß doch in diesem Falle achtungsvoll die Riesenarbeit
anerkannt werden, die in den drei Büchern steckt, ohne sich aber irgendwie vorzu-
drängen. Im Gegenteil: alle Ausführungen bleiben lebendig, nirgends weitet sich
der Totenacker trockener Gelehrsamkeit, und nirgends gähnen die öden Gefilde un-
fruchtbarer Polemik. Der gesamte Fragenkreis der Ästhetik rollt vor dem Leser
ab; mit ständig gleich bleibender Ausführlichkeit werden alle Probleme verfolgt
und in ihre Teilgebiete zerlegt. Aber in dieser überraschenden Fülle genauer und
genauester Einzelforschung geht niemals die durchsichtige Architektonik der Ge-
samtanlage verloren. Gerade der dritte Band zeigt ganz klar, wie Volkelt die im
ersten Buch vollzogene Grundlegung folgerichtig bis in die Enden seines Systems
durchführt, ja dieses im Aufbau immer straffer und geschlossener wird. Wenn man
nun das Werk als eine »wesentliche Bereicherung unserer Literatur« bezeichnet,
oder als »völlig unentbehrlich für jeden, der auf ästhetischem Gebiete forschen
will«, so drückt man lediglich ein Urteil aus, das die weitaus überwiegende Mehr-
zahl der Fachgenossen sicherlich billigt. So wäre es wohl ganz unangebracht, in
dieser Zeitschrift eine Inhaltsangabe des Buches geben zu wollen, da ohnehin die
meisten Leser bereits aus eigener Lektüre das Werk kennen. Aber auch eine
kritische Stellungnahme scheint mir im engen Rahmen einer Besprechung verfehlt,
weil sie lediglich Einzelheiten herausgreifen könnte und über wenige Kapitel nicht


 
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