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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

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Merk, Heinrich: Wilhelm von Scholz als Theoretiker des Dramas
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https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0092
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88 HEINRICH MERK.

ist ein Erzeugnis seiner Erregung« (N. G. S. 219). Als eine der tiefsten
dichterischen Wirkungen wird hervorgehoben, wenn »der Held selbst
an das schlummernde Verderben rührt, so daß es erwacht und über
ihn hereinbricht« (N. G. S. 226). Hier ist eben mehr als ein mensch-
liches Handeln; hier ahnen wir ein Schicksal. Jeder große Konflikt
ist Schicksalsfügung, jede große Tragödie Schicksalstragödie. — Vom
Schluß des Dramas verlangt Scholz, daß er wirklich ein Abschluß sei.
Darum lehnt er z. B. den Ahasverstoff als ungeeignet für das Drama
ab. Diese Sage verliere sich im Endlosen; was dargestellt werden
könne, sei demgegenüber nur eine unscheinbare Episode (vgl. G. S. 94).
Beachtenswert ist ferner die Bemerkung, daß der Selbstmord als tra-
gischer Abschluß verfehlt sei. »Ihm mangelt, da der Selbsterhaltungs-
trieb als stärkste Lebensmacht nur sehr bedingt künstlerisch als über-
wunden dargestellt werden kann, fast immer die überzeugende innere
Notwendigkeit. Die Willenskunst vermag die Aufhebung des Lebens-
willens mit ihren Mitteln schlechthin nicht zu geben und kann sie nur
beiläufig darstellen, indem sie den Willen auf etwas richtet, dem diese
Aufhebung des Selbst notwendiges Mittel ist: das Sich-opfern« (H. S. 40).

Wir haben uns in dieser Übersicht hauptsächlich darauf beschränkt,
die grundsätzlichen Gedanken aus den Schriften von Scholz hervor-
zuheben und in einen systematischen Zusammenhang zu bringen.
Aufgabe des Kritikers wird es sein, den Wert und die Berechtigung
solcher Konstruktionen zu prüfen. Er wird vor allem die Frage nach
der Bedeutung dieser Theorien für das künstlerische Schaffen und
ästhetische Erkennen untersuchen. Die wissenschaftliche Forschung
betätigt sich meist in der Sphäre allgemeiner Grundlegungen; sie bildet
die wichtigsten Elementarbegriffe, befaßt sich mit dem Wesen der
ästhetischen Erkenntnis (Intuition, Einfühlung), stellt Formalprinzipien
auf usw. So unerläßlich diese Dinge an sich auch sind, bei der Beur-
teilung des einzelnen Werkes leisten sie nur geringe Dienste. Die
Ästhetik ist eben zum größten Teil Prinzipienwissenschaft in dem
Sinne, in dem Wundt diesen Begriff nimmt (Wundt, Naturwissenschaft
und Psychologie S. 119). Wie nun der Naturforscher aus einem metho-
dologischen Prinzip keine naturwissenschaftlichen Entdeckungen ab-
leiten kann, ebensowenig kann der Kritiker den Wert eines Dramas
feststellen. Schließlich ist das auch gar nicht der Zweck von Prin-
zipien. Sie sollen nicht Erkenntnis unmittelbar hervorbringen, sondern
die Bedingungen ermitteln, unter denen Erkenntnis möglich ist. Eine
Ästhetik, die sich damit zufrieden gäbe, würde gar bald die Fühlung
mit der Kunst verlieren; sie würde sich selbst zur Unfruchtbarkeit
verurteilen. Es wird deshalb immer ihre vornehmste Aufgabe sein,
 
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