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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0318
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298

BESPRECHUNGEN

Karl Knauer: Ein Künstler poetischer Prosa in der französi-
schen Vorromantik: Jean-Francois Marmontel. Habilitationsschrift. 1936.
Heinr. Pöppinghaus o. H.-Q., Bochum-Langendreer.

Es ist immer begrüßenswert, wenn zur Durchleuchtung geisteswissenschaftlicher
Tatsachen neue Wege begangen oder die sonst schon vorhandenen Methoden neu-
artig angewandt werden. Knauer untersucht an Marmontels Prosa die einzelnen
Momente, die sie auf die Höhe eines ästhetischen Genuß gewährenden Kunstwerkes
erheben. Um uns die Gründe, die Voraussetzung des ästhetischen Genusses klar zu
machen, wird der leichte Fluß, der luftige, klare Aufbau, der einschmeichelnde Klang
dieser Prosa trockener Zählung und Messung unterworfen. Während Coculescu in
seiner Zergliederung der lyrischen Stellen in Chateaubriands Atala1) nur den Akzent,
den Rhythmus von Druckhervorhebung und Nichthervorhebung, betrachtet, hat
Knauer die Aufgabe weiter gefaßt. Er gliedert verständnisvoll den Inhalt des ge-
wählten Textes, den Gefühlsanteil der sprechenden Personen wie die gedanklichen
Fortschreitungen und zeigt, in welcher Art und in welchem Grade Silbenrhythmus
und Lautklang davon beeinflußt werden. Schon als einer Pionierarbeit auf diesem
Gebiete gebührt der vorliegenden Studie unbedingte Beachtung. Der Verfasser ist
wohl gerüstet. In einer umsichtigen Einleitung umgrenzt er sein Arbeitsgebiet, be-
gründet die Wahl Marmontels, wägt das Für und Wider seiner Methode ab und zeigt
sich auf allen einschlägigen Gebieten trefflich bewandert. Die Wahl der Rhythmen
hängt selbstverständlich von der beabsichtigten Wirkung ab. Der Gliederung des
Inhaltes entspricht die Gliederung des Ausdruckes, und zwar in einem Maße, das
den Neuling in einiges Staunen versetzen mag. Knauer versäumt nicht zu betonen,
daß die „Absicht" wohl nicht als eine vollbewußte Kraft gewertet werden kann.
Vielleicht schätzt er den Unterschied der psychischen Tätigkeit für Prosa und Dich-
tung immer noch zu groß ein. Steht im dichterischen Gemüt häufig ein Klang-
gebilde fest, ehe sich der Körper des Gedankens aus den Schleiern offenbart, so ist
bei der äußeren Ausführung des Gedichtganzen — und wären es nur 2, 3 einfache
Strophen, geschweige denn etwa „Der Kampf mit dem Drachen" oder „Der Gott und
die Bajadere" — notwendigerweise bewußte Überlegung am Werk. Ist in der Prosa
umgekehrt der Gedanke das erste, die phonetische Gestaltung das zweite, so be-
herrscht doch den Prosaschreiber der Wunsch nicht nur nach „entsprechender", son-
dern nach gelungener Darstellung auch dann, wenn er selbst von ästhetischen Grund-
sätzen gar nichts versteht und angeblich nichts von ihnen hält. Denn auch der,
dem sein Stil „ganz gleichgiltig" ist, will schließlich verstanden sein, will die rich-
tige Wirkung ausüben. Die Beherrschung der hierzu tauglichen Mittel, — die
Wahl des Ausdruckes — ist gleichbedeutend mit schriftstellerischer Begabung, und
der Rhythmus wie der Wohlklang ergeben sich danach zum großen Teil „von selbst".
Bei Marmontel wie bei der Mehrzahl aller Schriftsteller muß als selbstverständlich
angenommen werden, daß der Wechsel der Rhythmen — das ist zunächst der Wech-
sel von längeren und kürzeren Satzgliedern — sich aus dem Inhalt ergibt, während
andererseits Marmontels Vorliebe für achtsilbige Glieder im ruhigen Flusse der Er-
zählung gewiß keiner Überlegung entspringt. Vielmehr haben wir darin einen Mar-
montels Sprachempfinden genehmen, gewissermaßen ihm innewohnenden Rhythmus
zu erkennen. Das ergibt sich aus der Untersuchung seiner Schreibweise auch an

J) Pius Servien Coculescu, Lyrisme et structures sonores. Nouvelles Methodes
d'analyse des rhythmes appliquee ä Atala de Chateaubriand. Paris 1930.
 
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