Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 32.1938

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14217#0110
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Form ruhig außer Acht gelassen werden. Das schon erwähnte aufschlußreiche charak-
terologische Kapitel schließt die Untersuchung mit verständnisvollen Bemerkungen
über echte und scheinbare Systemlosigkeit.

Im Ganzen hat man eine gedanken- und anregungsreiche, Wege weisende Ein-
führung in die Problematik des Aphorismus gelesen. Diesem Urteil wollen einige
Bemerkungen über einzelne Fragen nicht Abbruch tun: Es hätte stärkeres Augen-
merk darauf gerichtet werden sollen, daß das Bemühen um Pointierung, Überschau-
barkeit, kurz Gestaltung Problematik für den Inhalt birgt. — Daß der in der Litera-
tur immer wiederkehrende Irrtum ausgesprochen wird, Lichtenberg zeige keine
organische Entwicklung, ist in einer summarischen Darstellung verständlich; diesem
Fanatiker und Künstler des „Selbstdenkens" aber Mangel an geistiger Selbständig-
keit vorzuwerfen, ist ein arges Vergreifen. — Lichtenbergs wiederholtes Lob des
Kurzschreibens, vom Verfasser bloß als „stilkritische Bemerkung" aufgefaßt, steht
im engsten Zusammenhang mit tiefsitzenden Tendenzen seines Lebens, wie dem
Kampf gegen Pedanterei und Schwerfälligkeit in jeder Form. Um Kürzung geht es
auch in vielen der in Leitzmanns textkritischen Anhängen ersichtlichen, ungewöhn-
lich zahlreichen kleinen sprachlichen Änderungen. Sie stehen zu der Behauptung,
Lichtenberg habe sich nicht um Stilisierung bemüht, in auffallendem Widerspruch. —
Durchaus inhaltlich, als psychologische Beobachtung und keineswegs aus der „Freude
am Witz und dem Wortspiel" ist auch zu verstehen F 345: „...Ja ich getraue mir
zu beweisen, daß man zuweilen glaubt man glaube etwas und glaubt es doch nicht..."
(S. 81). Und wenn man dies ein Paradoxon nennen will, so ist es durchaus sachlicher
und nicht vorwiegend formal-ästhetischer Art. Ähnliches gilt für Friedrich Schlegel.
— In D 65 (S. 35) liegt in der sinnstörenden Vertauschung von „erstere" und
„letztere" zweifellos ein Schreibfehler Lichtenbergs oder des Herausgebers vor. —
Kann man sich auch mit der ausgezeichneten Formulierung S. 50: „Fr. Schlegel
war und blieb Wissenschaftler, Philologe, Literat. — Novalis war im tiefsten Dichter,
so kamen sie von zwei verschiedenen Seiten zur Poesie und Religion", einverstanden
erklären, so ist doch die Fortsetzung: „Was Fr. Schlegel sich mühsam ergrübelt
und anliest, das hat Novalis in der eigenen Brust, er muß es nur darin entdecken",
stark überspitzt. Sehr gut ist dann wieder die Kennzeichnung von Novalis' Frag-
mentenheften als „ideologischen Tagebüchern eines genialen Ichs, als Sammelbecken
der ideenreichen Atmosphäre der Zeit, als kühnen Versuchen auf dem Gebiete der philo-
sophischen Spekulation und als Vorstoß an die Grenzen der Möglichkeiten der philo-
sophischen Sprache".

Wien. Franz H. Mautner.

Verantwortlich für den Textteil: Prof. Dr. Richard Müller-Freienfels, Berlin, für den
Anzeigenteil: Walther Thassilo Schmidt, Stuttgart. — I. v. W. g. — Verlag von Ferdinand
Enke in Stuttgart. A. Oelschläger'sche Buchdruckerei, Calw. Printed in Germany.
 
Annotationen