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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 32.1938

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https://doi.org/10.11588/diglit.14217#0324
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Kans Kayser: Vom Klang der Welt, Ein Vortragszyklus zur Einführung
in die Harmonik. — 180 S. mit 16 Abb. Geb. RM. 3.—, geh. RM. 2.40. Max
Niehans Verlag, Zürich und Leipzig, 1937.

„Zu Beginn wird die hohe tausendjährige Tradition der harmonikalen For-
schung gezeigt, die einst in der griechischen Kultur zentraler Gedanke war, heute
aber von der Wissenschaft fast ganz übersehen wird. Dann erläutern wir das Ur-
phänomen der ,Tonzahlen'. Das menschliche Ohr hat die einzigartige Fähigkeit,
eine Zahl große zugleich mit dem Zahl wert spontan zu erkennen. Die Ton-
zahl ist eine Synthese von Denken und Empfinden, und das System der Tonzahlen
ist bedeutungsvoll, weil es auf eine langgesuchte Brücke zwischen der Welt des
Seins (Materie) und der Welt der Werte (Seele, Geist) hindeutet. Im Anorga-
nischen hat die harmonikale Forschung schon zu Ergebnissen geführt: zu einem
System der Elemente, zur Auffindung der harmonikalen Gesetze in der Kristall-
bildung, zu der berühmten Balmerschen Wasserstofformel, zum dritten Keplerschen
Gesetz. Keplers Hauptwerk ist eine kosmische Harmonielehre. Im Organischen
schafft die Harmonik mit Hilfe der sogenannten Hörbilder eine ganz neuartige
Gestaltlehre der biologischen Formen. — In den Künsten, vor allem in Dichtung,
Malerei und Musik, gibt es eine Fülle harmonikaler Beziehungen und Gesetze. Für
die Baukunst wird nachgewiesen, wie gerade in ihren Hoch-Zeiten die Baukünstler
sich harmonikal akustischer Unterlagen bedienten, von welchen wir geschichtliche
Kenntnis besitzen. — Zuletzt stellt der Verfasser dar, wie mittelst der Tonzahlen
im Reich des Seins bestimmte Wert formen aufgezeigt werden können, im Reich
der Werte aber gewisse Seins formen. Daraus ergibt sich, daß es hinter den
Äußerungen der menschlichen Psyche, wie hinter den Gesetzmäßigkeiten in der
außer uns liegenden Natur, bestimmte Strukturen gibt, ,harmonikale Wertfor-
men', welche den Aufbau der Welt gestalten. Da wir diese Wertformen nicht allein
denken, sondern auch empfinden können, ergibt sich eine ethische Stellung des
Menschen zur Natur und eine tiefere Verantwortung vor sich selbst, vor seinem
eigenen Denken."

Das sind, unwesentlich gekürzt, des Verfassers eigene Worte, mit denen er
den Inhalt seines neuen Buches „Vom Klang der Welt" zusammenzudrängen
unternimmt. Man sieht: es handelt sich bei diesem Buchtitel keineswegs um eine
poetische Metapher — so wie wenn etwa von „Sphärenharmonie" die Rede wäre.
Hans Kayser gehört zu den Außenseitern der Forschung, die gewisse Bestand-
teile eines vorwissenschaftlichen, uns höchstens in der Poesie bewahrten Denkens
zu einem Erkenntnismittel erheben möchten, das keineswegs im Widerspruch zu
moderner Wissenschaft stehen soll. Vielleicht ging es im Grunde um nichts anderes
in Goethes Farbenlehre; bestimmt wollte ein Novalis ähnlich das „Poetische" wieder
konkretisieren.

Selbstverständlich handelt es sich nicht um einen puren Anachronismus. Unser
Autor kann in den Anklängen der Vergangenheit wohl nur historisch bedingte
„Mißverständnisse" verlorener Urwahrheiten anerkennen. Diese freilich müssen,
 
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