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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 32.1938

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Nussberger Max: Zur Stilentwicklung F. Hodlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.14217#0182
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Bemerkungen

Zur Stilentwicklung F. Hodlers

Von

Max Nussberger (Riga)

vorliegende Aufsatz gilt der Ergründung des malerischen Stils von Ferdi-
nand Hodler. Man wird die Bedeutung des Gegenstandes nach der Stellung bemes-
sen, die man Hodler in der Geschichte der modernen Malerei zubilligt. Jedenfalls ge-
hört Hodler zu denjenigen ausgeprägten Künstlerpersönlichkeiten der jüngstvergan-
genen Zeit, denen es gelang, auf das Schaffen der Gegenwart Einfluß zu gewinnen
und es in neue Bahnen zu lenken. Nach einer einseitig koloristischen Entwicklung
der Malerei, die schließlich dahin führte, die Welt nur noch als farbige Erscheinung
aufzufassen, erfolgt mit Hodler der scharfe Umschlag zu einer die Form betonenden,
vorwiegend zeichnerischen Kunst. Nachdem die Gegenstände vollständig aufgelöst
und in farbige Reflexe verwandelt worden waren, sucht Hodler wieder nach dem
Wesen der Dinge. Er dringt zu einer heroischen Monumentalkunst vor, zu einer das
Innere durchleuchtenden Wiedergabe des Menschen. In der Landschaft wie in der
figuralen Kunst zeigen sich diese Wandlungen.

Die Entwicklung ist von Hodler auf die Kunst seiner Zeit übergegangen. Sie hat
Epoche gemacht. Es ist daher gewiß von Bedeutung, den Anfängen dieses neuen Stils
in der Malerei nachzugehen. Zum ersten Mal begegnet er uns bei Hodler in seinem
Gemälde „Die Nacht"1). Wie durch ein Wunder taucht er hier auf, scheinbar ohne
jede Vorbereitung, ohne jeden Vorläufer. Der folgende Aufsatz sucht nun dieses rät-
selhafte Phänomen auf einen literarischen Eindruck zurückzuführen, von dem Hod-
ler selbst in den klarsten Worten als von einem entscheidenden Moment seiner Bil-
dung spricht. Die Entdeckung verdanke ich einzig und allein meinen Gestaltungs-
prinzipien, wie ich sie in meinem Buch über „Die künstlerische Phantasie" (Bruck-
mann, München) entwickelte. Dort mag man das Nähere zur theoretischen Begrün-
dung nachlesen. Die Sache selbst hat freilich gar nichts Sonderbares an sich. Sie ist
nicht merkwürdiger als der Einfluß der bildenden Kunst bei der Prägung des klas-
sischen Stils in der Literatur durch Goethe. Beide Male handelt es sich um dasselbe:
die Übertragung eines ausgeprägten Stilgefühls aus einem Kunstgebiet auf ein an-
deres. Nur geht das eine Mal der Einfluß von der bildenden Kunst aus und befruch-
tet die Entwicklung in der Literatur, das andere Mal ist der Weg der umgekehrte.

Hodler selbst scheint übrigens der hier vorgetragenen Ansicht über den Ur-
sprung seines Malstils recht zu geben, wenn er von sich sagt, er sei der erste gewe-
sen, der den Parallelismus ■— so nennt Hodler die eigentümliche Kompositionsweise
seiner reifen Zeit — in die Malerei eingeführt habe. Dieser Ausdruck besagt

1) Eine Abbildung in meinem weiter unten zitierten Buch „Die künstlerische
Phantasie". München 1935.
 
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