Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 32.1938

DOI Artikel:
Damian, Erwin: Rilkes Gestaltung der Landschaft, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14217#0181
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
RILKES GESTALTUNG DER LANDSCHAFT

167

gemeinsame Bedeutung bekommen, wird die tiefe Wahrheit dieser Be-
obachtung bestätigt finden. Das Gedicht ist nichts anderes als der erneute
Beweis des bei Rilke so innigen Zusammenhangs zwischen räumlichen
und akustischen Phänomenen. Das Heraussteigen der Zeit aus dem Ver-
band des Wirklichen schafft den Eindruck um zum Bild. Subjektive Stim-
mungen sind bei der Gestaltung nicht mehr beteiligt. Im Innern vollzieht
sich zwar die Verwandlung des Geschauten, aber den fruchtbaren
Moment, der ihre Erscheinung ins Seiende steigert, haben die Dinge
selber in sich (Br. 6—7): „Das Anschauen ist eine so wunderbare Sache,
von der wir so wenig wissen, wir sind mit ihm ganz nach außen gekehrt,
aber gerade wenn wir es am meisten sind, scheinen in uns Dinge vor-
zugehen, die auf das Unbeobachtetsein sehnsüchtig warten, und während
sie sich intakt und seltsam anonym in uns vollziehen, wächst in dem
Gegenstand draußen ihre Bedeutung heran, ein überzeugender, starker,
ihr einzig möglicher Name, in dem wir das Geschehnis in unserem Innern
selig und ehrerbietig erkennen, ohne selbst daran heranzureichen, unter
den Zeichen eines eben noch fremden und schon im nächsten Augenblick
aufs neue entfremdeten Dings begreifen." So vollzieht die Landschaft das
Spiel und Gegenspiel von Wesen und Erscheinung in sich selber, losgelöst
von den romantisierenden Empfindungen des Beschauers. Auch der Im-
pressionist sucht die Wahrheit im Scheinenden, obwohl er weiß, daß er
nur die Wahrscheinlichkeit finden wird. „Es gibt noch keine Wahrheit"
sagt Maeterlinck im „Leben der Bienen". — „Es ergibt sich die kurz-
sichtige Wahrscheinlichkeit des Romantikers, der verschönt, indem er
schaut, die unerbittlich grausame Wahrscheinlichkeit des Realisten und
endlich die stille, tiefe, unerforschten Zusammenhängen vertrauende
Wahrscheinlichkeit des Weisen, welche vielleicht der Wahrheit am näch-
sten kommt. Nicht weit von dieser Wahrscheinlichkeit liegt die naive
Wahrscheinlichkeit des Künstlers. Indem er die Menschen zu den Dingen
stellt, erhebt er sie: denn er ist der Freund, der Vertraute, der Dichter der
Dinge." Mit dieser Einsicht öffnet sich ein neues Blatt Rilkescher Land-
schaftsschilderung: die Gestaltung der Landschaft als „Ding" in den
„Neuen Gedichten".

Zitiert wurde nach der sechsbändigen Ausgabe der gesammelten Werke im In-
sel-Verlag, sowie nach den im gleichen Verlag erschienenen Briefbänden.

Abkürzungen:

B.Th.K. = „Bücher, Theater, Kunst", Leipzig 1934.

W.M. = „Woopswede-Monographie", Bielefeld 1903.

Erz. u. Sk. = „Erzählungen und Skizzen aus d. Frühzeit", Leipzig 1928.

(Schluß folgt)
 
Annotationen