Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 32.1938

DOI Artikel:
Nussberger Max: Zur Stilentwicklung F. Hodlers
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14217#0183
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BEMERKUNGEN

169

nach der natürlichsten Interpretation, daß Hodler sich bewußt war, seinen Stil nicht
schlechtweg erfunden, gleichsam aus dem Nichts geschaffen zu haben. Hat er ihn
aber irgendwo wahrgenommen, so doch wohl kaum irgendwo anders als auf einem
ihm zugänglichen, verwandten Kunstgebiet, von dem er dann durch ihn in die Ma-
lerei übertragen wurde.

In die Entwicklungsjahre Hodlers fällt ein Aufenthalt in Spanien, der in seiner
Malerei keinen sonderlich tiefen, dauernden Einfluß hinterlassen hat. Hodler wird
vorübergehend zum Pleinairisten. Der Meister der Linie, dem es beschieden war,
durch das Betonen der Form die Kunst seiner Zeit in ganz neue Bahnen zu lenken,
gewinnt dort einen koloristischen Stil. Man kann dies durch die Einflüsse der Zeit
notdürftig erklären. Die Erscheinung auf Eindrücke der spanischen Malerei zurück-
zuführen, wie sie Hodler im Prado vor allem studierte, gelingt kaum.

Die Ergebnisse der Spanienreise zeigen sich in Hodlers Landschaftsbildern, im
Figurenbild und im Interieur mit figürlicher Gruppe. Für Hodlers pleinairistische
Landschaftsmalerei aus jener Zeit zeugt vor allem die hellbesonnte, leuchtende und
lichte „Straße von Madrid", bei der alles Gegenständliche in farbige Effekte von
unbestimmter Ausdehnung aufgelöst ist. Das vorübergehende Verwischen des Um-
risses im Porträt belegt das träumerische Selbstbildnis von 1878, das jetzt die Samm-
lung Kottmann in Solothurn ziert. Von der scharfen Beobachtung der Technik zeit-
genössischer Pleinairisten spricht endlich die „Uhrmacherwerkstätte", welche mit
ihrer Bevorzugung der Rückenansicht verschiedener Vordergrundfiguren das alte
porträtierende Gruppenbild zur unpersönlichen Lebensgemeinschaft umgestaltete.
Das ist ganz im Sinne der alles Geistige, Individuelle tilgenden Strömung moderner
Malerei und hat seine Gegenstücke bei Millet und Liebermann.

Man ist, wie gesagt, in Verlegenheit, will man diese neue Richtung in Hodlers
Malerei auf bestimmte biographische Einflüsse jener Zeit zurückführen. Hodler
selbst, wenn man ihn nach den Malern befragte, die in Spanien besondern Eindruck
auf ihn machten, nannte vor allem Rubens, Tizian, Goya und Ribera. Am meisten
aber wurde er von Velasquez angesprochen, dessen feines Formempfinden er bewun-
derte. Das deutet alles darauf hin, daß es wohl vor allem die südliche Sonne war, die
Hodler in Spanien beglückt hat und ihn versuchsweise jenen Weg einschlagen ließ,
der damals wie kein anderer versprach, leicht und sicher zum Ziele zu führen: zu
jenem, das Hodler erreichen mußte und auch erreichen wollte, das Ziel des äußern
Erfolges.

So wäre eigentlich von der spanischen Reise nicht viel zu berichten, und ihr
Wert bestände lediglich darin, Hodler eine Zeitlang seinem innersten Wesen entfrem-
det zu haben — läge nicht ein Ausspruch vor, der uns einen Fingerzeig geben kann,
wo wir den eigentlichen und wahren Gewinn jenes Ausfluges nach dem Süden zu
suchen haben. Loosli notiert in seinem Werk das verblüffende Geständnis Hodlers:
„Meine größte und unverwischbarste Erinnerung an Spanien ist meine Lektüre des
Don Quichotte in Verbindung mit dem Volk, wie ich es dort sah".

Fand Hodler hier vielleicht einen dem seinen verwandten Genius? Und wurde
er durch dessen Kunst in eigenen, dunkel geahnten Bestrebungen bestätigt? Sah er
etwa hier eine Verarbeitung der Lebenswirklichkeit vor sich, die ihm gemäßer, kon-
genialer war als die in der Malerei der alten spanischen Meister? Trifft das zu, so
würde das auf einen tiefgreifenden Zusammenhang zwischen der Kunst beider hin-
deuten. Darf also geschlossen werden, daß Hodler aus der Lektüre des spanischen
Dichters eine Wegleitung empfing, die sich später, in seiner meisterlichen Kunst als
fruchtbar erwies? Und die ihn vielleicht seinem eigenen, besondern Malstil zuführte?
 
Annotationen