Nun ist offenbar, daß dieses selbe Darstellungsprinzip der Häufung und der
Gewinnung von Größe der Form durch die Wiederholung desselben Motivs auch in
Cervantes' „Don Quichotte" herrscht. Seine Eigenart als hyperidealistischer Ritter
enthüllt der Held in einer langen Reihe von Abenteuern, die er mit seinem Freund und
Diener Sancho Pansa besteht und die immer wieder denselben tragikomischen Ver-
lauf nehmen. Bei aller Variation des Äußerlich-Tatsächlichen ist der Sinn dieser Vor-
fälle stets der nämliche, der daher vom Leser mit sich steigerndem Entzücken genos-
sen und durchschaut wird.
In der „Nacht" tritt das parallelistische Kunstprinzip ganz unvermittelt und wie
ein Wunder in Hodlers Malerei auf. Das Bild besitzt keine Vorläufer. Es sind auch
keine Kartons dazu vorhanden. Wie durch eine Eingebung geleitet ist Hodler zu
seinem neuen Darstellungsverfahren gekommen. Darf da nicht vermutet werden, daß
eine vielleicht unbewußte Beeinflussung durch die Literatur statthatte? Kann nicht
die Erinnerung an jenes dichterische Werk mitgewirkt haben, von dem Hodler
bekennt, daß er seinerzeit aufs tiefste von ihm beeindruckt wurde? Das ihn damals
sogar dazu verlockte, es zu illustrieren?
Ein Zusammenhang wäre in der Tat kaum von der Hand zu weisen, wenn sich
dartun ließe, daß Hodler in seinen Lehrjahren nicht nur Maler war, sondern sich als
ein tiefsinniger Grübler mit allerlei andern Dingen innerlich beschäftigte. Wenn sich
zeigen ließe, daß er sich mit Literatur eingehender befaßt hat und daß er der Mei-
nung war, sein Prinzip des Parallelismus gelte nicht bloß in der Malerei, sondern
auch außerhalb von ihr, in der Literatur und im Leben. Alles dies trifft tatsächlich
zu. Außerdem aber läßt sich zeigen, daß eine ähnliche Beeinflussung von einem
Kunstgebiet zum andern auch sonst noch vorkommt. Es ist bekannt, daß Goethe
seine Auffassung der Antike aus der Anschauung bildender Kunst gewann und daß
er deren „edle Einfalt und stille Größe" an den Überresten von Werken klassischer
Skulptur und Architektur in Italien studierte, bevor er daran ging, ihren Geist seiner
„Iphigenie" einzuhauchen.
Hodler selbst bekannte von seinem Parallelismus, er sei nicht nur ein Kunst-,
sondern ein Welt- und Lebensprinzip. Er verwies auf die Darstellungsweise bei Homer,
wo die vielen geschilderten Zweikämpfe der Helden vor Ilion den Eindruck einer
einzigen ungeheuren Schlacht hervorrufen. (Vgl. Loosli, Hodler, Bd. I, S. 80.)
Von einer Wiese, auf der ungezählte gelbe Blumen stehen, empfängt man nach
Hodler einen stärkeren Eindruck, als von einer solchen mit Blumen von verschie-
dener Farbe. „Wenn man über eine Wiese hinblickt", äußerte er, „wo nur eine einzige
Art von Blumen sich dem Auge bietet, wo z. B. die Blüten des Löwenzahns sich in
hellem Gelb von dem grünen Grunde des Rasens abheben, so wird man einen Ein-
druck von Einheit empfinden, der in Entzücken versetzt. Ich bemerke, daß die
Wirkung größer sein wird, der Eindruck stärker, als wenn sich eine Mischung
von Blumen da vor uns ausbreitete, die in Farbe und Form verschieden sind".
Die gleiche Beobachtung nun konnte aber Hodler bei der Lektüre des „Don
Quichotte" machen, daß nämlich der Eindruck der Episoden des Romans sich
dadurch zusehends steigert, daß sie immer wieder den einen Grundgedanken
des Werkes wiederholen, der in der phantastischen, hochfliegenden und weltüberwin-
denden Ritterlichkeit des tapfern Manchaners gelegen ist. Will man also bei Hod-
lers Erfindung des malerischen Parallelismus seiner Lektüre des „Don Quichote"
nicht geradezu eine entscheidende Rolle zubilligen, wozu alle Ursache vorhanden
wäre, so muß man mindestens zugestehen, daß zwischen der Kompositionsweise des
Cervantes in seinem Hauptwerk und dem Aufbau der parallelistischen Gemälde
Hodlers eine verblüffende Verwandtschaft besteht.
Gewinnung von Größe der Form durch die Wiederholung desselben Motivs auch in
Cervantes' „Don Quichotte" herrscht. Seine Eigenart als hyperidealistischer Ritter
enthüllt der Held in einer langen Reihe von Abenteuern, die er mit seinem Freund und
Diener Sancho Pansa besteht und die immer wieder denselben tragikomischen Ver-
lauf nehmen. Bei aller Variation des Äußerlich-Tatsächlichen ist der Sinn dieser Vor-
fälle stets der nämliche, der daher vom Leser mit sich steigerndem Entzücken genos-
sen und durchschaut wird.
In der „Nacht" tritt das parallelistische Kunstprinzip ganz unvermittelt und wie
ein Wunder in Hodlers Malerei auf. Das Bild besitzt keine Vorläufer. Es sind auch
keine Kartons dazu vorhanden. Wie durch eine Eingebung geleitet ist Hodler zu
seinem neuen Darstellungsverfahren gekommen. Darf da nicht vermutet werden, daß
eine vielleicht unbewußte Beeinflussung durch die Literatur statthatte? Kann nicht
die Erinnerung an jenes dichterische Werk mitgewirkt haben, von dem Hodler
bekennt, daß er seinerzeit aufs tiefste von ihm beeindruckt wurde? Das ihn damals
sogar dazu verlockte, es zu illustrieren?
Ein Zusammenhang wäre in der Tat kaum von der Hand zu weisen, wenn sich
dartun ließe, daß Hodler in seinen Lehrjahren nicht nur Maler war, sondern sich als
ein tiefsinniger Grübler mit allerlei andern Dingen innerlich beschäftigte. Wenn sich
zeigen ließe, daß er sich mit Literatur eingehender befaßt hat und daß er der Mei-
nung war, sein Prinzip des Parallelismus gelte nicht bloß in der Malerei, sondern
auch außerhalb von ihr, in der Literatur und im Leben. Alles dies trifft tatsächlich
zu. Außerdem aber läßt sich zeigen, daß eine ähnliche Beeinflussung von einem
Kunstgebiet zum andern auch sonst noch vorkommt. Es ist bekannt, daß Goethe
seine Auffassung der Antike aus der Anschauung bildender Kunst gewann und daß
er deren „edle Einfalt und stille Größe" an den Überresten von Werken klassischer
Skulptur und Architektur in Italien studierte, bevor er daran ging, ihren Geist seiner
„Iphigenie" einzuhauchen.
Hodler selbst bekannte von seinem Parallelismus, er sei nicht nur ein Kunst-,
sondern ein Welt- und Lebensprinzip. Er verwies auf die Darstellungsweise bei Homer,
wo die vielen geschilderten Zweikämpfe der Helden vor Ilion den Eindruck einer
einzigen ungeheuren Schlacht hervorrufen. (Vgl. Loosli, Hodler, Bd. I, S. 80.)
Von einer Wiese, auf der ungezählte gelbe Blumen stehen, empfängt man nach
Hodler einen stärkeren Eindruck, als von einer solchen mit Blumen von verschie-
dener Farbe. „Wenn man über eine Wiese hinblickt", äußerte er, „wo nur eine einzige
Art von Blumen sich dem Auge bietet, wo z. B. die Blüten des Löwenzahns sich in
hellem Gelb von dem grünen Grunde des Rasens abheben, so wird man einen Ein-
druck von Einheit empfinden, der in Entzücken versetzt. Ich bemerke, daß die
Wirkung größer sein wird, der Eindruck stärker, als wenn sich eine Mischung
von Blumen da vor uns ausbreitete, die in Farbe und Form verschieden sind".
Die gleiche Beobachtung nun konnte aber Hodler bei der Lektüre des „Don
Quichotte" machen, daß nämlich der Eindruck der Episoden des Romans sich
dadurch zusehends steigert, daß sie immer wieder den einen Grundgedanken
des Werkes wiederholen, der in der phantastischen, hochfliegenden und weltüberwin-
denden Ritterlichkeit des tapfern Manchaners gelegen ist. Will man also bei Hod-
lers Erfindung des malerischen Parallelismus seiner Lektüre des „Don Quichote"
nicht geradezu eine entscheidende Rolle zubilligen, wozu alle Ursache vorhanden
wäre, so muß man mindestens zugestehen, daß zwischen der Kompositionsweise des
Cervantes in seinem Hauptwerk und dem Aufbau der parallelistischen Gemälde
Hodlers eine verblüffende Verwandtschaft besteht.