Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 32.1938

DOI Artikel:
Laurila, Kaarle Sanfrid: Die emotionalistische Ästhetik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14217#0208
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
beinahe ebensoweit wie die Geschichte der Ästhetik selbst. Schon bei
Aristoteles kann man den emotionalistischen Gedanken, allerdings
nicht klar und direkt ausgesprochen, sondern nur angedeutet und in einer
keimartigen Form finden. Er ist bei Aristoteles in seiner Lehre von der
Tragödie und noch besonders in seiner berühmten Katharsislehre enthal-
ten, wenn nämlich der Begriff Katharsis als „erleichternde Befreiung
oder Entladung der Gemütsaffekte" gedeutet wird, wie er besonders von
Jak. Bernays, Überweg, Zeller, A. Döring und von vielen anderen ge-
deutet worden ist und tatsächlich mit guten Gründen und sogar in direkter
Anlehnung an die eigenen Ausdrücke des Aristoteles (vgl. besonders Po-
litik, VIII, Kap. VII) gedeutet werden kann. Nach dieser Deutung ist der
kurze Sinn der Aristotelischen Begriffsbestimmung der Tragödie der, daß
die Tragödie — und folglich das Kunstwerk überhaupt — unser Gemüts-
leben in Bewegung setzt und dadurch unseren Affekten und Gefühlen eine
erleichternde Befreiung und Entladung gewährt. Diese Kunstauffassung
ist aber ohne Zweifel emotionalistisch, da nach derselben die Aufgabe der
Kunst darin besteht, uns Gelegenheit zu Gefühlserlebnissen zu geben.

Der bedeutendste Vorläufer und Vertreter der emotionalistischen Ästhe-
tik ist jedoch der Abbe Dubos, der in seinem höchst verdienstvollen
Werke „Reflexions critiques sur la poesie et sur la peinture" (1719) den
emotionalistischen Grundgedanken nicht allein deutlich ausgesprochen,
sondern auch darauf eine sinnreiche, folgerichtig durchdachte Theorie der
Kunst und sogar noch eine scharfsinnige und weitsichtige Theorie der
Kunstkritik gebaut hat. Die kunstphilosophischen Gedanken Dubos' brau-
chen hier nicht ausführlich wiedergegeben zu werden. Die sind heutzutage
allen bekannt — oder müßten mindestens es sein. Nur der emotionali-
stische Grundcharakter dieser Gedanken muß hier kurz hervorgehoben
werden. Die Hauptaufgabe der Kunst nach Dubos besteht nämlich darin,
unser Gemüt zu bewegen, uns Gelegenheit zu fesselnden Gefühlserlebnis-
sen zu bieten, welche unseren Geist beschäftigen und uns dadurch vor
der Langeweile schützen, welche für den Menschen eines der schlimm-
sten und unerträglichsten Übel ist. Diese Aufgabe erfüllt die Kunst da-
durch, daß sie uns Gegenstände, Ereignisse und überhaupt Lebensbilder
vorführt, welche in Wirklichkeit unser Gemüt stark bewegen würden,
welche aber auch in der Nachbildung, in welcher die Kunst sie uns dar-
bietet, fähig sind, unseren Geist hinreichend zu beschäftigen und somit
die Langeweile fernzuhalten. Wenn wir die von der Kunst dargestellten
Ereignisse und Lebensbilder in Wirklichkeit erlebten, würden sie uns
allzu stark und tief ergreifen und oft sogar „des peines reelles et des
afflictions veritables" zur Folge haben. Da sie aber in der Kunst nicht in
ihrer wirklichen Stärke, sondern nur in einer abgeschwächten Nach-
bildung, als „imitations ou copies des objets reels" uns dargeboten werden,
 
Annotationen