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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 32.1938

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Damian, Erwin: Rilkes Gestaltung der Landschaft, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14217#0229
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RILKES GESTALTUNG DER LANDSCHAFT

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Erscheinung festzuhalten, sondern das Werden einer Bewegung oder das
Gewordene eines Zustandes zu geben. An die Stelle der Farbigkeit einer
Landschaft tritt die Dynamik ihrer Linien und Flächen. So finden wir in
„Der Berg" kaum eine Andeutung, die auf einen sinnlich empfangenen
äußeren Eindruck schließen ließe. Alles Sichtbare hat sich in seelische
Bewegung, in unsichtbaren, nur fühlbaren „Innenraum" verwandelt. Aus
der Erinnerung steigt die Anschauung, deren Einzelheiten sich völlig von
jeder Erscheinung gelöst haben. An die Stelle der äußeren tritt die innere
Gesetzlichkeit, die mit den Bildern nach ihren eigenen, besonderen Ge-
setzen schaltet. Nicht Eigenschaften, sondern Tätigkeiten der Landschaft
werden geschildert: „tausendmal aus allen Tagen tauchend" — „von
Gestalt gesteigert zu Gestalt" — „Nächte von sich abfallen lassend" —
„jedes Bild im Augenblick verbrauchend". Und aus allem entsteht der Ein-
druck einer frühen, soeben neu geschaffenen, schöpfungshaften Natur, die
noch in allen ihren Äußerungen den Rhythmus der Entstehung spüren
läßt, gleichsam nackt, ohne das Kleid der Erscheinung. (Vgl. Br. 06—07,
S. 106, üb. d. Vesuv: „Aber ich merkte, wie seltsam der obere Teil des
Berges gezeichnet ist durch alle Lavaflüsse, die diesem Gipfel den Cha-
rakter geben, als wäre er noch nicht vollendet.") Die angesammelte Erfah-
rung drängt zur schöpferischen Tat, der empfangene Eindruck verwan-
delt sich vollkommen in die Energie der Sprache. Die Bäume einer Land-
schaft werden nun nicht mehr in ihren farbigen Besonderheiten gegeben,
sondern in ihren seelischen Eigenschaften vorgestellt. An die Stelle von
Adjektiven treten Partizipien wie „überfüllt", „dienend", „versuchend"
(III. 248). Schon in der ersten Zeile des Zyklus „Die Parke" (III. 195) wird
nicht ein farbiger Eindruck, sondern eine Bewegung gegeben: „Unauf-
haltsam heben sich die Parke aus dem sanft zerfallenden Vergehn." Auch
hier herrscht das Partizip: „aus sich steigend, in sich wiederkehrend" —
„Blumen in dem wellenden Besatz" (III. 197). Die Wege: „leise weiter-
gelockt .....zwischen den Massen verlangsamt und gelenkt".

Der äußere Eindruck geht nicht mehr unmittelbar in die Gestaltung
über, sondern erfährt seine Verwandlung durch den inneren Welt-Seelen-
raum, der alle Dinge magisch miteinander verbindet. Es fehlt nicht an
mannigfachen Hinweisen in den Briefen, die diese innere Umwandlung
des Eindrucks kennzeichnen. So heißt es einmal anläßlich einer Reise
durch die Touraine (Br. 06—07, S. 14): „Und ich hoffe, das wird Wirk-
lichkeit, um hernach desto tiefer Traum zu werden." „Erst aus der Ver-
wandlung im Innern erblüht die Vollendung: „O, daß wir doch die Mittel
fänden, ohne uns geizig zuzuschließen, zu sparen und zurückzubehalten.
Ich denke, wir müssen viel und aufmerksam zuhören, dann werden wir
allmählich immer vorsichtiger antworten und immer besser ..." (Br.
06—07, S. 34). Es gilt nicht, das Gesehene sogleich und unbearbeitet in
 
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