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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 32.1938

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Havenstein, Martin: Wahrheit und Irrtum in Schillers Unterscheidung von naiver und sentimentalischer Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14217#0265
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WAHRHEIT UND IRRTUM IN SCHILLERS UNTERSCHEIDUNG USW. 251

an idealer Bedeutsamkeit hinter diesen nicht einen Schritt zurück: der
Prinz von Homburg ist sogar ein wahres Musterbeispiel innigster Ver-
schmelzung von Realität und Idealität und also eigentlich die Erfüllung
dessen, was Schiller für sehr wünschbar, aber für unmöglich hielt. Wenn
man das bedenkt, erkennt man die ganze Tragik, die über dem Grabe am
kleinen Wannsee wie eine finstere Wolke lagert. Das deutsche Drama
liegt darin, wie wir es erhoffen und erträumen durften. Eine herrliche
Blüte hat es nur getrieben, dann nahm es der unglückliche Dichter mit
ins Grab.

Sentimentalisch als Mensch wie auch als Dichter war dagegen Hen-
rikibsen, der überhaupt trotz der zeitlichen Ferne unserem großen dra-
matischen Moralisten und Idealisten näher stehen dürfte als irgend ein
anderer Bühnendichter. Aber Schiller war bei allem Kranksein menschlich
weit kraftvoller, gesunder und ungeteilter, also naiver, als der nordische
Dramatiker, der in der „Wildente" seine eigenen fünfaktigen Moralpredig-
ten zu verspotten begann und in seinem letzten Werke („Wenn wir Toten
erwachen") seinem gesamten Dichten die wahre Lebendigkeit absprach.
Schiller hat an sich selbst, an seinem Menschentum, so wenig gezweifelt
wie an der Bedeutung und dem Lebenswerte seines Schaffens. Nur sein
Talent war ihm fragwürdig, aber er kam auch darüber mit sich ins reine.
Er beantwortete sich die Frage, die sein Talent ihm stellte, auf eine Art,
die ihn beruhigte und seine Kräfte zum Schaffen freimachte. Das geschah
in der Abhandlung, die wir hier betrachtet haben, und wenn sie also
auch keine andere Bedeutung mehr haben sollte als die, die sie für Schiller
selbst hatte, so ist sie schon damit für immer gerechtfertigt. Denn wir ver-
danken ihr eine Reihe leuchtender Werke, die er ohne innere Störung auf
dem Boden geschaffen hat, den er sich mit dieser Abhandlung ebnete und
sicherte.
 
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