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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 32.1938

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Fries, Carl: Zur Metaphysik des Ästhetischen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14217#0313
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endet, und zwar an jedem gesunden Organismus, so liegt wohl der Schluß
nahe, daß der Schmerz aufhöre, weil die Verbindung hergestellt wurde.
Wenn aber in jedem solchen Fall von Leid durch das Einleiten jener Ver-
bindung der Schmerz beseitigt, der gefährdete, schwer bedrohte Organis-
mus aber gerettet wird, dann liegt wieder die Vermutung nahe, daß das
Aufhören des Schmerzes und die Rettung des Organismus eng zusammen-
gehören, daß eine Beziehung zwischen beiden bestehe, daß vielleicht gar
der Schmerz gleichsam absichtlich bei NichtVerbindung eingesetzt werde,
damit durch Schmerzbesiegung das Ganze erhalten werde. Sobald aber
ein „damit" als finalistisches Kettenglied eingeschaltet wird, ist diesem
Sollen als Objekt ein Wollen als Subjekt kompensatorisch anzugliedern.
Dieses Subjekt ist nun nicht mehr zu entbehren.

Nun wiederholt sich diese Bezogenheit: Ersatzmangel — automatisch
einsetzender Hungerschmerz — Aufnahme der Nahrung — Schmerz-
beseitigung — Wiederherstellung der Lebenskraft in restloser Gleichheit
in raumzeitlich unbegrenzter Fülle von Fällen, so daß an der Zweckmäßig-
keit des Hungerschmerzes für das einfachste logische Schlußvermögen
schlechterdings kein Zweifel bestehen kann, so wenig wie bei der aus-
nahmslos sich wiederholenden Bezogenheit zwischen dem Magneten und
den Eisenspänen. Wenn aber Zweckmäßiges als Tatsachenzusammenhang
sich in unzähligen Fällen als Folgeerscheinung gleicher Voraussetzungen
wiederholt, so erwächst der Glaube an Kausalität; und wenn der Zu-
sammenhang von einer Heilwirkung begleitet ist, dann bedarf es keiner
besonderen Kombinationsgabe, um auf eine Gewolltheit, eine Absichtlich-
keit zu schließen. In jedem menschlichen Zusammenhang wäre dies der
Fall. Gesetzt, ein armer Mensch erhielte von Zeit zu Zeit eine anonyme
Geldsendung: an der charitativen Absicht eines unbekannten Spenders
würde er keinen Augenblick zweifeln. Der Spender ist hier der Hunger,
der zur An- bzw. Aufnahme der rettenden Spende nötigt.

Das hier vom Hunger Gesagte gilt erst recht vom sexualen, überhaupt
von allen Trieben und Tropismen. So kann schon aus diesem wie aus zahl-
losen anderen Gründen unverkennbarer Teleologie im Organismenreich
an der Aktivität einer vor- oder überweltlichen Intelligenz und Energie
ein begründeter Zweifel nicht bestehen.

Der Leser verzeihe diesen beschwerlichen, doch unerläßlichen Umweg
zum Thema. Nachdem nun neuere Metaphysiker wie Heidegger, Müller-
Freienfels, Jaspers, Scheler u. a. den Weg zum Irrationalen gewiesen
haben, bleibt nur noch die letzte Konsequenz zu ziehen und kopernika-
nisch für alle Philosophie den Blickpunkt jeder Betrachtung vom bis-
herigen menschlichen auf das prämundiale „überweltlich-große" Subjekt
zu verlegen und diesen Ausgangspunkt zu universalster Geltung für alle
Gebiete philosophischen Denkens zu erheben.
 
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