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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 36.1942

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Hennig, Richard: Beiträge zur musikalischen Aesthetik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14218#0012
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RICHARD HENNIG

worden ist wie durch Webers „Freischütz", der gewissermaßen seinem
eignen Lebensweg die Richtung vorschrieb und den er noch als gereifter
Mann so glühend verehrte, daß er bei der Trauerfeier aus Anlaß der
Überführung der Leiche Webers von London nach Dresden 1844 das
herrliche Wort sprach: „Du deutsches Volk, wie muß ich dich lieben —
und sei es auch nur, weil aus dir heraus der Freischütz entstanden ist!"
Es läßt sich nun m. E. überzeugend nachweisen, wie die Tonarten der
einzelnen Teile des „Freischütz" sich für Wagner mit gewissen Gemüts-
werten verbanden, die seinen eignen Werken ihren Stempel aufgeprägt
haben. Folgende Beispiele mögen dies zeigen:

Der herrliche musikalische Höhepunkt des „Freischütz", die große
Arie der Agathe im zweiten Akt, steht bekanntlich in E-dur. Wie sehr
Wagner diese Arie geschätzt hat, geht schon allein daraus hervor, daß
(wie schon mehrfach bemerkt worden ist) zwischen einer ihrer musika-
lischen Phrasen und dem großen Marsch im „Tannhäuser" in der Melo-
die eine gewisse Ähnlichkeit besteht1). Die Tonart E-dur aber ist für
Wagner während seines ganzen Lebens zum Sinnbild des Liebesverlan-
gens, zur eigentlichen Liebes-Tonart geworden. Von der Jugendoper der
„Feen" an bis zum letzten Alterswerk des Meisters, dem „Parsifal", tref-
fen wir immer und immer wieder E-dur als Tonart der heißesten und
reinsten Liebe an. In den „Feen" vollzieht sich die romantische Vereini-
gung des Liebespaares unter dem Klange eines E-dur-Finale. Im „Tann-
häuser" schildert E-dur beide Male die wilde Sinnlichkeit des Venusberg-
Bacchanales, und ebenso erklingt Tannhäusers Lied an die Venus, das
zum ersten Male in Des-, zum zweiten Male in D-, das dritte Mal in
Es-dur gesungen wird, bei der vierten und höchsten Steigerung während
des Sängerkriegs auf der Wartburg in E-dur. Die herrlich-zarte Braut-
nacht-Szene im „Lohengrin" ist wieder in E-dur geschrieben, und dieselbe
Tonart begegnet uns beim ersten Zusammentreffen Siegfrieds mit Brun-
hilde, während der Liebes-Vision des todwunden Tristan; sie schildert
auch den sinnlichen Kuß Kundrys im „Parsifal". Ein bloßer Zufall können
alle diese Übereinstimmungen keinesfalls sein.

Wagners Beeinflussung durch die Tonart der Liebesarie der Agathe
im „Freischütz" ist um so wahrscheinlicher, als auch sonst der Einfluß
der Meisteroper Webers auf Wagners Wahl der Tonarten unverkennbar
ist. Die Tonart des ehrwürdigen Klausners im dritten Akt des „Freischütz"
ist Es-dur; diese wird nun in Wagners Opern zur Tonart der Frömmig-

J) Auf eine weitere frappante Übereinstimmung sei nur in einer Anmerkung ver-
wiesen. Die sinnfällige melodiöse Phrase im dritten und vierten Takt der „Freischütz"-
Ouvertüre tritt uns Note für Note ebenso und auch ohne alle weitere Orchester-
begleitung entgegen in Brünnhildes Frage an Wotan im Schlußakt der „Walküre":.
„War es so niedrig?"
 
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