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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 36.1942

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Mutius, Gerhard von: Kunstgenuß
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https://doi.org/10.11588/diglit.14218#0184
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Kunstgenuß

Von

Gerhard von Mutius

Die ganze Entwicklung der menschlichen Gesittung, insbesondere
der Technik, die in gewisser Weise doch durch alle Zeiten und Zonen
das gemeinsame menschliche Thema darstellt, hat zur Folge, wenn
nicht zum Ziel, daß möglichst Alle um Alles wissen sollen. Die Erwei-
terung der menschlichen Merkwelt als Mittel erweiterter Naturbeherr-
schung ist für den homo faber, d. h. für den Menschen, dessen aus-
zeichnendes Merkmal im Rahmen der Naturgeschöpfe das langfristige,
planmäßige Handeln ist, ein durchaus legitimes Ziel, das sich aller
Romantik gegenüber behaupten muß. Aber das Bild stellt sich ganz
anders dar, wenn man einmal nicht auf die Ergebnisse menschlichen
Handelns, sondern auf die Bedingungen menschlicher Produktivität blickt,
in denen schließlich alle Kulturerrungenschaften verwurzelt sind. Da
werden wir finden, daß das Schöpferische im Menschen allerzeit ein
Geheimnis bleibt und daß gegenüber der lauten Öffentlichkeit die heim-
lichen Quellen menschlichen Wesens mehr Beachtung und Interesse ver-
dienen, als ihnen in der Regel zuteil wird. Denn die Tendenz zur Öffent-
lichkeit ist so absorbierend, daß sie das Heimliche daneben nicht dulden
will, ja zu entwerten droht. Und doch ist diese „fortreißende Strömung
des Lebens" eine absinkende Tendenz, der wir nach Richard Wagners
schönem Wort nicht anders wehren können, als wenn wir ihr entgegen
„nach dem Quell des Stromes" steuern. Gegenüber einer alternden Kultur,
die sich an ihre Resultate, an eine Art falscher Sachlichkeit zu verlieren
Gefahr läuft, bleibt dieses Zurücksteuern nach der Quelle der eigentliche
Sinn jenes Rufes nach Verjüngung, der von Zeit zu Zeit immer wieder
ertönt. Jeder neue menschliche Aufbruch sucht, auch wenn er sich dessen
nicht bewußt wird, die Bedingungen menschlicher Produktivität.

Auch das künstlerische Streben bedarf einer solchen beständigen
Umkehr. Vielleicht am größten ist die Gefahr eines derartigen Gerin-
nens der künstlerischen Lebensimpulse in der bildenden Kunst. Die
Musik kann niemals mit dem Notenblatt verwechselt werden. Sie will
immer wieder gespielt, d. h. von neuem produziert sein. Auch das ge-
schriebene oder gedruckte Wort appelliert doch, so ferüg es sich gibt,
 
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