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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 36.1942

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Hennig, Richard: Beiträge zur musikalischen Aesthetik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14218#0027
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BEITRÄGE ZUR MUSIKALISCHEN ÄSTHETIK

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interessantes Beispiel liefert uns auch noch eine Probe aus dem aus-
schließlich hohen Niveau der Kunst: die gleiche musikalische Figur, mit
der Joh. Strauß' köstliche „Schöne, blaue Donau" und genau ebenso
Suppes „Boccaccio"-Ouverture beginnt, bildet auch den weihevollen Auf-
takt zum Vorspiel von--Wagners „Parsifal"!

Ein andres Beispiel von ähnlicher Beweiskraft ist die Wandlung jenes
Themas, das uns aus unsrer Deutschland-Hymne gegen Schluß zum
Text „Deutschland, Deutschland über alles" so wohl vertraut ist. Be-
kanntlich stammt die herrliche Melodie von Haydn und ist ursprünglich
zum „Gott erhalte" komponiert worden. Wie aber Max Friedländer nach-
gewiesen hat, ist jenes besondere Thema bereits 1753 in einer Komposi-
tion von Agricola zum Text „Lebe, liebe, trink' und schwärme" nach-
weisbar, ferner in einem Telemann'schen Rondo für Cembalo. Außerdem
begegnet uns die gleiche musikalische Figur in Mozarts von 1773 stam-
mender Motette „Exsultate, jubilate" zum Worte Alleluja und überdies
auch noch in Schuberts „Stabat mater" zu den Worten „Liebend neiget
er sein Antlitz". Wir haben es hier also mit einer fünffachen Benutzung
derselben musikalischen Figur für völlig verschiedenartige musikalische
Stimmungen zu tun, sowohl für kirchliche wie übermütig-weltliche und
patriotische Kompositionen. Daß in keinem Fall hier eine musikalische
Entlehnung bewußt stattgefunden hat, sondern daß es sich in Wahrheit
nur um Melodien handelt, die „sich begegnen", bedarf kaum des Bewei-
ses. Große Meister und Melodienerfinder wie Mozart, Haydn oder gar
Schubert hatten es gewiß nicht nötig, bewußte Anleihen an fremdem Me-
lodiengut vorzunehmen.

Es kann nun leicht dazu kommen, daß in irgendwelchen Fällen der
Schein eines begangenen Plagiats entsteht, ohne daß in Wahrheit ein
solcher Vorwurf gerechtfertigt ist. Merkwürdigste musikalische Über-
einstimmungen kommen vor, ohne daß der eine Komponist von dem Werk
des andren irgend etwas gewußt hat. Nur in wenigen Fällen läßt sich
freilich die absolute Unmöglichkeit einer Entlehnung zwingend nach-
weisen. Folgende, besonders eigenartige Fälle gehören hierher:

1. Als Richard Strauß' „Elektra" erschienen war, meldete sich ein junger, wenig
bekannter italienischer Komponist und behauptete, Strauß habe ihm mehrere charak-
teristische Themen aus einer seiner Opern entwendet, die schon vorher veröffentlicht
worden war. Durch Abdruck der gegenübergestellten Motive belegte er diese ver-
blüffende Behauptung, die in einer italienischen Musikzeitung erschien und deren Be-
weise allerdings erstaunlich genug anmuteten. Strauß konnte aber erklären, daß ihm
die Oper des Italieners gänzlich unbekannt geblieben war.

2. Schon lange beachtet ist ja die nahezu unbegreifliche Übereinstimmung zwi-
schen mehreren Takten im Gesang der Meermädchen aus Webers „Oberon" und
einem mehrfach erklingenden, zumal gegen Schluß einprägsam wiederkehrenden,
absteigenden Thema in Mendelssohns „Sommernachtstraum"-Ouvertüre. Die Ähnlich-
keit ist um so größer, als beide Male auch dieselbe Tonart E-dur gewählt ist. Und

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