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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 36.1942

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Roretz, Karl von: Zur Psychologie und Ästhetik der Reimfindung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14218#0090
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KARL VON RORETZ

— Man sieht hier die komplizierte Reimformung (Binnenreim! Eigent-
licher Endreim!) aus dem, vom Sänger oder Rezitator sicher mit höchstem
Wohlgefallen hervorgebrachten, reinen Wiederholungs- oder Identitäts-
reim förmlich herauswachsen! Die reichlich oft wiederholten Silben (die,
nebenbei gesagt, hier an sich noch keinen Sinn beherbergen!) stellen gleich-
sam das ursprüngliche und noch herrschende Element dar, dem gegen-
über jene andern Formbildungen ganz deutlich sekundären Charakter an
sich .tragen ... Dieser Gedankengang soll also hier nicht weiter verfolgt
werden.

Es stellt aber die überragende Rolle des Reimes in einer großen Gruppe
dichterischer Erzeugnisse den psychologisierenden Ästhetiker vor allerlei
andere, nicht ganz unwichtige Fragen. Unter ihnen ist das Problem des
konkreten Zustandekommens der jeweiligen Reime, also das Problem der
„Reimfindung", gewiß eines der interessantesten. Dieser Frage also
soll im folgenden etwas weiter nachgegangen werden.

Das Wissen um den Bau und die Arten des europäischen Reimes darf
bei den Lesern dieser Zeitschrift mit Selbstverständlichkeit vorausgesetzt
werden. Aber nicht ganz überflüssig mag es sein, einiges über die Wege
zu sagen, auf denen das eben umschriebene Problem der „Reimfindung"
geklärt werden kann!

Die wichtigsten der hier ins Auge gefaßten Verfahrensweisen dürften,
im Sinne moderner Seelenforschung, etwa die folgenden sein:

a) Die Analyse gereimter Verszeilen berufsmäßiger Dichter — wobei
auch die etwa bekannt gewordenen Änderungen des ursprünglichen Ent-
wurfs besonders zu beachten wären.

b) Die Verwertung der Angaben ausübender Reimdichter über ihre
Technik der „Reimfindung" — die grundsätzlich auf dem Wege der
„Rundfrage" zugänglich gemacht werden können. (Man dürfte es in die-
sem Zusammenhang auch nicht ganz verschmähen, die — formal v/ie
inhaltlich freilich meist ganz unbedeutenden — Leistungen der sog.
„Schnelldichter" durch Ausfragen dieser Quasikünstler zum Vergleiche
mit heranzuziehen!).

c) Beobachtungen über die Erfahrungen reimender Übersetzer aus
fremden Sprachen. (Hier scheinen sogar, rein psychologisch genommen,
die Bedingungen für einen Erkenntnisgewinn nicht unerheblich besser zu
liegen als bei b), da einerseits keine stärkere emotionelle Störung des
Selbstbeobachtens zu befürchten ist, anderseits reiche Möglichkeiten will-
kürlicher und unwillkürlicher Variation sich darbieten.)

d) Die experimentelle, mit Selbstbeobachtung verbundene Stellung von
„Reimaufgaben" bei geeigneten Personen — (wie dies ja gelegentlich schon
früher von Denk- und Gedächtnispsychologen versucht worden ist (vgl.
 
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