DIE RAUMANSCHAUUNG BEI PINDAR
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man all seine schillernden Möglichkeiten mit einem Ausdruck zusammen-
fassen sollte, so würden wir sagen: xaigög heißt bei Pindar „ins Schwarze
treffen".
Homer kennt das Substantiv xaigög, nicht, er gebraucht nur xatgiov,
„tödlich". y.aioLov ist die Stelle des Körpers, wo eine Verletzung tödlich
wirken muß. Es liegt in xaigiov durchaus die gleiche Vorstellung des Ins-
Ziel-Treffens wie bei Pindar. Für Homer ist der Tod aber der einzige
wirkliche Endpunkt, die einzige Angelegenheit, bei der alles zum Still-
stand kommt, aufhört, sich erfüllt. Und darin liegt der Unterschied zu
Pindar, der Abgrund zwischen zwei Zeiten. Für den barocken Menschen
ist alles Fluten, alles Dahin- und Vorübereilen. Auch das zentrische Her-
vorbrechen aus einem Mittelpunkt und das Heranströmen zu einem Mittel-
punkt hin hat nichts gemein mit dem, was dem Klassiker xaigög, das
Zentrum der Zielscheibe ist. Bei der Zielscheibe ist alles andere rings-
herum, außerhalb des Mittelpunktes, ungültig, wertlos. Wert und Sinn
hat nur der runde Kreis — es ist keineswegs nur ein Punkt — auf dem
Felde. Es gibt ein Treffen oder ein Nichttreffen. Treffen ist xaigög, Nicht-
treffen ist Abirren, Verfehlen57)- E>er Barock hat die Vorstellung des
Verfehlens in diesem Sinn nicht, er sieht und denkt viel mehr in der Vor-
stellung des Sich-Näherns, des Hinzustürmens. Ein Sicherfüllen an einer
bestimmten Stelle und damit Zur-Ruhe-Kommen ist seiner Vorstellungs-
welt fremd. Erfüllung ist für diese Zeit ein Sichauflösen, Verbrennen, Ver-
puffen. Deshalb spielt die Vorstellung des xaigög bei Homer auch keine
Rolle außer beim Tode. Und auch hier ist sie nur eine Negation, keines-
wegs ein Gelingen wie bei Pindar. xaigiov ist gleichbedeutend mit oilö^evog.
Es ist Vernichtung.
Ganz anders Pindar. Für ihn ist xaigög höchster Wert, Erfüllung.
Manchmal können wir es garnicht anders übersetzen als mit Gelingen:
„Der mit Leistungen geschmückte Reichtum bringt Gelingen für dieses
oder jenes"58). Oder auch: „So möge Gott, der Errichter, sich auch in
Zukunft des Hieron annehmen und ihm Gelingen geben, in dem was er
begehrt"59). Es ist ganz deutlich ausgesprochen: v.aigög ist Gelingen dessen,
was man erstrebt. Wenn aber eine Sache sich erfüllt, gelingt, so hat sie
auch Bestand. Dieses Bestandhaben liegt viel stärker in dem pindarischen
Begriff y.aigögals in unserer Übersetzung „günstige Gelegenheit", die wohl
völlig erst für das 4. Jahrhundert zutrifft. Damals schuf Lysipp die Figur
des Kairos mit Stirnlocke und geschorenem Hinterkopf, also der zeitliche
57) Vgl. N 10, 6: oid' Ynegfjwfiotga naganläyx'&y]. Selbst der Ehebruch wird
svval nagdtgonoi genannt.
5S) O 2, 60: d ßäv nlovxog ägexatg ösdaiöaXßevog cpegsi x&v %e y.ai täv xaigöv.
59) P 1, 57: o#ra) <5' 'Iegavi ftedg ögtianiig neXoi zöv ngoaegnovza xgövov, &v
egazai, xaigöv öiöotig.
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man all seine schillernden Möglichkeiten mit einem Ausdruck zusammen-
fassen sollte, so würden wir sagen: xaigög heißt bei Pindar „ins Schwarze
treffen".
Homer kennt das Substantiv xaigög, nicht, er gebraucht nur xatgiov,
„tödlich". y.aioLov ist die Stelle des Körpers, wo eine Verletzung tödlich
wirken muß. Es liegt in xaigiov durchaus die gleiche Vorstellung des Ins-
Ziel-Treffens wie bei Pindar. Für Homer ist der Tod aber der einzige
wirkliche Endpunkt, die einzige Angelegenheit, bei der alles zum Still-
stand kommt, aufhört, sich erfüllt. Und darin liegt der Unterschied zu
Pindar, der Abgrund zwischen zwei Zeiten. Für den barocken Menschen
ist alles Fluten, alles Dahin- und Vorübereilen. Auch das zentrische Her-
vorbrechen aus einem Mittelpunkt und das Heranströmen zu einem Mittel-
punkt hin hat nichts gemein mit dem, was dem Klassiker xaigög, das
Zentrum der Zielscheibe ist. Bei der Zielscheibe ist alles andere rings-
herum, außerhalb des Mittelpunktes, ungültig, wertlos. Wert und Sinn
hat nur der runde Kreis — es ist keineswegs nur ein Punkt — auf dem
Felde. Es gibt ein Treffen oder ein Nichttreffen. Treffen ist xaigög, Nicht-
treffen ist Abirren, Verfehlen57)- E>er Barock hat die Vorstellung des
Verfehlens in diesem Sinn nicht, er sieht und denkt viel mehr in der Vor-
stellung des Sich-Näherns, des Hinzustürmens. Ein Sicherfüllen an einer
bestimmten Stelle und damit Zur-Ruhe-Kommen ist seiner Vorstellungs-
welt fremd. Erfüllung ist für diese Zeit ein Sichauflösen, Verbrennen, Ver-
puffen. Deshalb spielt die Vorstellung des xaigög bei Homer auch keine
Rolle außer beim Tode. Und auch hier ist sie nur eine Negation, keines-
wegs ein Gelingen wie bei Pindar. xaigiov ist gleichbedeutend mit oilö^evog.
Es ist Vernichtung.
Ganz anders Pindar. Für ihn ist xaigög höchster Wert, Erfüllung.
Manchmal können wir es garnicht anders übersetzen als mit Gelingen:
„Der mit Leistungen geschmückte Reichtum bringt Gelingen für dieses
oder jenes"58). Oder auch: „So möge Gott, der Errichter, sich auch in
Zukunft des Hieron annehmen und ihm Gelingen geben, in dem was er
begehrt"59). Es ist ganz deutlich ausgesprochen: v.aigög ist Gelingen dessen,
was man erstrebt. Wenn aber eine Sache sich erfüllt, gelingt, so hat sie
auch Bestand. Dieses Bestandhaben liegt viel stärker in dem pindarischen
Begriff y.aigögals in unserer Übersetzung „günstige Gelegenheit", die wohl
völlig erst für das 4. Jahrhundert zutrifft. Damals schuf Lysipp die Figur
des Kairos mit Stirnlocke und geschorenem Hinterkopf, also der zeitliche
57) Vgl. N 10, 6: oid' Ynegfjwfiotga naganläyx'&y]. Selbst der Ehebruch wird
svval nagdtgonoi genannt.
5S) O 2, 60: d ßäv nlovxog ägexatg ösdaiöaXßevog cpegsi x&v %e y.ai täv xaigöv.
59) P 1, 57: o#ra) <5' 'Iegavi ftedg ögtianiig neXoi zöv ngoaegnovza xgövov, &v
egazai, xaigöv öiöotig.