BESPRECHUNGEN
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derung besteht, die Vereinigung beider Reiche im Menschen herbeizuführen. Zu
dieser Feststellung hätte er bei richtigem Ausgangspunkt viel eher kommen können,
und es ist schade, daß von dieser noch recht allgemeinen Feststellung aus nicht ge-
nauer das tragische Erleben in der Spannung von Sein und Schein untersucht worden
ist, was zur Klärung der Entwicklung des Begriffs der Tragik im Laufe von Schillers
Schaffen m. E. mehr beitragen würde als der Schicksalsbegriff.
Die Erklärung der Kleistschen Tragik muß nach unserer Formulierung nicht von
dem Sieg des Wesens über die Wirklichkeit sprechen, d. h. des Ichs über die Außen-
welt, sondern von dem Sieg der echten Wirklichkeit über die falsche, wobei allerdings
die echte Wirklichkeitsform oft nur von einem Einzelnen vertreten ist. Der Zusatz des
Verfs.: „und den Sieg über deren Macht im Menschen" kann dabei nur so gedeutet
werden, daß er die Macht der falschen Wirklichkeit nicht nur in den anderen Men-
schen, sondern auch in dem Vertreter der Wirklichkeit des unbewußten Gefühls meint,
also eine Überwindung der minderwertigen Wirklichkeitsform in der Seele des tra-
gischen Helden.
Das Buch schließt mit dem Wunsche, daß die Losung zukünftig nicht mehr, wie
seit Meyer-Benfey, „Von Schiller zu Kleist" laute, sondern „Schiller und Kleist". Der
von dem Verf. bekämpfte Standpunkt ist m. E. bereits seit einer Reihe von Jahren
aufgegeben. Die letzten Arbeiten von Buchwald, Cysarz, Kommereil, Pongs und an-
deren beweisen das. B. v. Wiese spricht sogar in der Einleitung zu seinem schönen
Schiller-Büchlein (1938) von einer „Schillerrenaissance". Die Meinung Frickes, daß
„zwischen Schillers Zeit und der unsrigen ein Bruch liegt, der bis in alle Tiefen des
Lebensgefühls, des Denkens, des Empfindens, des Wollens, der Sprache, ja der Exi-
stenz überhaupt, geht" (NJb. WJ. 1931, S. 21), hat sich zum mindesten insoweit als
falsch erwiesen, daß das Werk Schillers uns heute noch sehr viel zu sagen hat; das
zeigt auch das vorliegende Buch sehr deutlich.
Marburg/Lahn. G. Schleypen.
E. Langlotz/W. Schuchardt: Archaische Plastik auf der Akro-
p o 1 i s. Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 1941.
Die dem großen, im gleichen Verlage erschienenen Akropoliswerk, das für den
Privatmann wohl schwerlich erschwinglich ist, zur Seite gestellte Auswahl aus den
Schätzen der Marmorskulpturen stellt keineswegs eine schematische Zurechtstutzung
dar. Nicht nur, daß der einleitende Text auf ein breiteres Publikum Rücksicht nimmt,
jede der den Abbildungen beigegebenen Beischriften enthält neue Belehrung, neue
Gesichtspunkte und Anregung zum Sehen und ist erstaunlich weit von katalogarti-
ger Trockenheit entfernt. Es ist auch keineswegs der Versuch gemacht, hier lediglich
die „Rosinen" in effektvollen Photographien aneinander zu reihen. Die chronologische
Anordnung ergab sich mit Rücksicht auf die Absichten des Buches wohl von selbst.
Sie wird aber nicht pedantisch gehandhabt, sondern läßt Raum zu eingeschobenen,
lehrreichen Gegenüberstellungen, sei es in zeitlicher, sei es in landschaftlicher Hin-
sicht. Dem Hervorheben der Einheitlichkeit des Zeitraums, dem gleichsam als Über-
schrift der bärtige Männerkopf des Berliner Museums als mögliche Spiegelung des
Peisistratos vorangestellt wird, steht in Text und Anordnung des Abbildungsmate-
rials die reiche Entwicklung dieses so aufregend interessanten und seelisch noch im-
mer so rätselvollen Zeitraums griechischen Erlebens gegenüber, gleich erstaunlich in
seiner Fülle wie in seiner Einseitigkeit. Denn selbst wenn wir hoffen könnten, noch rei-
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derung besteht, die Vereinigung beider Reiche im Menschen herbeizuführen. Zu
dieser Feststellung hätte er bei richtigem Ausgangspunkt viel eher kommen können,
und es ist schade, daß von dieser noch recht allgemeinen Feststellung aus nicht ge-
nauer das tragische Erleben in der Spannung von Sein und Schein untersucht worden
ist, was zur Klärung der Entwicklung des Begriffs der Tragik im Laufe von Schillers
Schaffen m. E. mehr beitragen würde als der Schicksalsbegriff.
Die Erklärung der Kleistschen Tragik muß nach unserer Formulierung nicht von
dem Sieg des Wesens über die Wirklichkeit sprechen, d. h. des Ichs über die Außen-
welt, sondern von dem Sieg der echten Wirklichkeit über die falsche, wobei allerdings
die echte Wirklichkeitsform oft nur von einem Einzelnen vertreten ist. Der Zusatz des
Verfs.: „und den Sieg über deren Macht im Menschen" kann dabei nur so gedeutet
werden, daß er die Macht der falschen Wirklichkeit nicht nur in den anderen Men-
schen, sondern auch in dem Vertreter der Wirklichkeit des unbewußten Gefühls meint,
also eine Überwindung der minderwertigen Wirklichkeitsform in der Seele des tra-
gischen Helden.
Das Buch schließt mit dem Wunsche, daß die Losung zukünftig nicht mehr, wie
seit Meyer-Benfey, „Von Schiller zu Kleist" laute, sondern „Schiller und Kleist". Der
von dem Verf. bekämpfte Standpunkt ist m. E. bereits seit einer Reihe von Jahren
aufgegeben. Die letzten Arbeiten von Buchwald, Cysarz, Kommereil, Pongs und an-
deren beweisen das. B. v. Wiese spricht sogar in der Einleitung zu seinem schönen
Schiller-Büchlein (1938) von einer „Schillerrenaissance". Die Meinung Frickes, daß
„zwischen Schillers Zeit und der unsrigen ein Bruch liegt, der bis in alle Tiefen des
Lebensgefühls, des Denkens, des Empfindens, des Wollens, der Sprache, ja der Exi-
stenz überhaupt, geht" (NJb. WJ. 1931, S. 21), hat sich zum mindesten insoweit als
falsch erwiesen, daß das Werk Schillers uns heute noch sehr viel zu sagen hat; das
zeigt auch das vorliegende Buch sehr deutlich.
Marburg/Lahn. G. Schleypen.
E. Langlotz/W. Schuchardt: Archaische Plastik auf der Akro-
p o 1 i s. Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 1941.
Die dem großen, im gleichen Verlage erschienenen Akropoliswerk, das für den
Privatmann wohl schwerlich erschwinglich ist, zur Seite gestellte Auswahl aus den
Schätzen der Marmorskulpturen stellt keineswegs eine schematische Zurechtstutzung
dar. Nicht nur, daß der einleitende Text auf ein breiteres Publikum Rücksicht nimmt,
jede der den Abbildungen beigegebenen Beischriften enthält neue Belehrung, neue
Gesichtspunkte und Anregung zum Sehen und ist erstaunlich weit von katalogarti-
ger Trockenheit entfernt. Es ist auch keineswegs der Versuch gemacht, hier lediglich
die „Rosinen" in effektvollen Photographien aneinander zu reihen. Die chronologische
Anordnung ergab sich mit Rücksicht auf die Absichten des Buches wohl von selbst.
Sie wird aber nicht pedantisch gehandhabt, sondern läßt Raum zu eingeschobenen,
lehrreichen Gegenüberstellungen, sei es in zeitlicher, sei es in landschaftlicher Hin-
sicht. Dem Hervorheben der Einheitlichkeit des Zeitraums, dem gleichsam als Über-
schrift der bärtige Männerkopf des Berliner Museums als mögliche Spiegelung des
Peisistratos vorangestellt wird, steht in Text und Anordnung des Abbildungsmate-
rials die reiche Entwicklung dieses so aufregend interessanten und seelisch noch im-
mer so rätselvollen Zeitraums griechischen Erlebens gegenüber, gleich erstaunlich in
seiner Fülle wie in seiner Einseitigkeit. Denn selbst wenn wir hoffen könnten, noch rei-