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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 36.1942

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Mutius, Gerhard von: Das Porträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.14218#0232
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GERHARD VON MUTIUS

graphie, zutreffen, obgleich vermutlich bereits beim bloßen Wiedererkennen
ästhetische Gesichtspunkte mitbeteiligt sind, aber die Photographien, • die
man bei sich aufstellt oder Verwandten und Freunden schenkt, sollen eben
im höheren Sinne ähnlich, d. h. charakteristisch und vorteilhaft zugleich
sein. — Es ist eine Unzahl photographischer Aufnahmen denkbar und
herzustellen, die trotz ihrer objektiven Undiskutierbarkeit dieser Forde-
rung nicht entsprechen. — Auf den Bildern der Menschen, für die wir uns
interessieren (nicht zuletzt gehört hierzu die eigene Person) aber wollen
wir verweilen. Wir wollen ihnen zustimmen, uns an ihnen freuen. An
gleichgültigen oder unerfreulichen Vergegenwärtigungen bestimmter Men-
schenbilder hätten wir kein Interesse. Der Photograph wird daher ganz
natürlicher Weise suchen, die Menschen etwas zu steigern und zu ver-
schönern, z. B. Runzeln oder ähnliches wegzuretuschieren und sie im
ganzen möglichst jung darzustellen. Das mag der hochentwickelten, künst-
lerischen Photographie gegenüber vielleicht ungerecht klingen, aber ihre
Grundtendenz kann in verfeinerter Form nur dieselbe sein. Darum bleibt
der Blick in das Schaufenster eines Photographen ja immer etwas rührend
und komisch zugleich, ob man nun die hoffnungsvollen Jünglinge, glück-
lichen Brautpaare, ehrwürdigen Jubilare und Familienväter der kleinen
Orte betrachtet oder die Berühmtheiten, die sich in den großen Städten
dort Rendez-vous geben. Wie ein fernes Echo klingt hier schon das ver-
gessene und doch nicht verlorene Gefühl an, daß das Porträt eine Art
Leib für die Seele darstelle, der den natürlichen, zu Alter und Tod be-
stimmten überdauern solle und nun so zu gestalten sei, daß die Seele
unter ihr möglichst erfreulichen Bedingungen in ihm weiter leben könne.
Selbst die Photographie weist schon auf eine Geschichte des Porträts und
übergreifende ästhetische Zusammenhänge hin, nach denen sie tatsächlich
auch immer wieder beurteilt wird, ohne daß man sich von den stillschwei-
genden Voraussetzungen dieser Urteile Rechenschaft geben könnte.

Wie war nun in den Anfängen, bis zu denen unser Blick gerade noch
reicht, das Verhältnis des Menschen zu seinem Bilde, d. h. zur Wieder-
gabe seiner Erscheinung überhaupt, von der das Porträt nur ein besonders
persönlich zugespitzter Fall ist?! — Ich glaube, wir stoßen da auf eine
unterste Schicht des Mißtrauens und der Furcht, deren Überwindung
dann einen bedeutsamen Schritt der eigentlichen Menschwerdung dar-
stellt. Wie es auf materiellem Gebiet überall eine Steinzeit gegeben hat,
so finden wir im primitiven Menschen ein Vorstellungsleben, das unserer
heutigen gesteigerten Einsicht in die praktischen Zusammenhänge als
Aberglauben und Zauberei erscheinen muß. Frazer schildert in seiner alle
Zeiten und Zonen umfassenden Sammlung derartigen vorgeschichtlichen
Materials, die er in dem Bande „The golden Bough" vereinigt hat, wie der
primitive Mensch an eine Verdoppelung seines Wesens zu glauben geneigt
 
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