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MARGARETE RIEMSCHNEIDER-HOERNER
Augenblick, den man beim Schopf packen muß, die Occasio. Bei Pindar
finden wir nirgends etwas von diesem Vorübereilen, ja sein xaigög ist über-
haupt kein Zeit-, sondern ein Raumbegriff. Da für ihn — wie wir gesehen
haben— sich Zeitbegriffe leicht in Raumvorstellungen umwandeln, kann
uns dies nicht wundern. Es mag damals in der Alltagssprache durchaus
den Begriff xaigög als zeitliches Moment gegeben haben. Wichtig ist für
uns die Verwendung, die er bei dem gestaltenden Dichter findet.
Kaigög ist aber nun nicht einfach Gewährung irgend einer Sache, die
man. sich wünscht, sondern die Aufgabe, die ein bestimmtes Alter, ein
bestimmter Umstand mit sich bringt und die man erfüllen muß, wenn
man sich nicht vor den Göttern und dem Schicksal strafbar machen will.
xaigög ist nicht Zufall, sondern Pflicht. So steckt auch in dem „Gelingen"
der beiden oben erwähnten Zitate nicht allein Gewährung durch Götter-
huld, sondern weit mehr Erfüllung einer gesetzten Pflicht, das Zum-Ziel-
Kommen in einer Aufgabe. Nur der Reichtum, der mit Leistungen, mit
Tüchtigkeit geschmückt ist, führt zum Gelingen.
Ist diese Aufgabe eine rein sportliche, so können wir xaxä xaigöv einfach
mit „zielsicher" übersetzen: „Nicht wurde getadelt die wagenlenkende
Hand des rossestachelnden Mannes, die Nikomachos mit allen Zügeln
zielsicher führte"60).
Viel öfter erscheint xaigög als Aufgabe des Dichters :m>A2ebv inißav xaigöv
oi) yevöet, ßaläv. Nl,18. Wir könnten ohne zu fehlen übersetzen: „Bei
vielen Dingen traf ich ins Schwarze, ohne zu irren meinen Pfeil schie-
ßend." Sinngemäßer wäre: „Viele sich mir bietende Aufgaben löste ich
richtig, ohne Falsch"61).
Daß xaigög einfach „das Richtige treffen" bezeichnet, erweist auch
0 8,24: „Schwer ist es gerade zu urteilen, nicht am Richtigen vorbei"62).
Bei dem Begriff xaigög haben wir die gleiche Vorstellung wie bei der
ögftä yMev&og. Nur die dgM xikew&og führt zum xaigög. Daher heißt auch
O 9,38 nagä xaigöv nicht „zur Unzeit", sondern wörtlich übersetzt „neben
dem Ziel hinaus", „in falsche Richtung", sinngemäß besser „unrecht-
mäßig" : „Denn die Götter schlecht zu machen ist eine hassenswerte Weis-
heit, unberechtigtes Prahlen (gemeint ist: Prahlen mit haltlosen Erzäh-
lungen) aber klingt nach Wahnsinn03).
60) I 2, 22:oi>x ifiefMfd-r] gvaiöicpgov zelga nlafyitnoio cpcotög mv Nix&ßaxog xavä
xaigöv velfi' ändaaig ävlaig.
61) Die Vorstellung des Ins-Ziel-Treffens drückt der Dichter auch direkt aus.
Vgl. N 6, 29: eXnoßai iiöya elnav axonov ävva wxelv cot' änö tö^ov leig. Jemanden
besingen ist bei ihm fast immer Pfeile schießen oder Wurfspieße, zo^eöco und
äxovzlt;®, vgl. Dornseiff, Pindars Stil, Berlin 1921. Diese merkwürdigen Bilder
muß man beim Übersetzen im Auge behalten.
e2) 6g&ä diaxgCvetv cpgevi firi magä xaigöv, övanaXeg.
63) inel to ye Xoidogijoai -&eovg iz$gä oocpiä xai tö xavxäa&at, migä xaigöv
MARGARETE RIEMSCHNEIDER-HOERNER
Augenblick, den man beim Schopf packen muß, die Occasio. Bei Pindar
finden wir nirgends etwas von diesem Vorübereilen, ja sein xaigög ist über-
haupt kein Zeit-, sondern ein Raumbegriff. Da für ihn — wie wir gesehen
haben— sich Zeitbegriffe leicht in Raumvorstellungen umwandeln, kann
uns dies nicht wundern. Es mag damals in der Alltagssprache durchaus
den Begriff xaigög als zeitliches Moment gegeben haben. Wichtig ist für
uns die Verwendung, die er bei dem gestaltenden Dichter findet.
Kaigög ist aber nun nicht einfach Gewährung irgend einer Sache, die
man. sich wünscht, sondern die Aufgabe, die ein bestimmtes Alter, ein
bestimmter Umstand mit sich bringt und die man erfüllen muß, wenn
man sich nicht vor den Göttern und dem Schicksal strafbar machen will.
xaigög ist nicht Zufall, sondern Pflicht. So steckt auch in dem „Gelingen"
der beiden oben erwähnten Zitate nicht allein Gewährung durch Götter-
huld, sondern weit mehr Erfüllung einer gesetzten Pflicht, das Zum-Ziel-
Kommen in einer Aufgabe. Nur der Reichtum, der mit Leistungen, mit
Tüchtigkeit geschmückt ist, führt zum Gelingen.
Ist diese Aufgabe eine rein sportliche, so können wir xaxä xaigöv einfach
mit „zielsicher" übersetzen: „Nicht wurde getadelt die wagenlenkende
Hand des rossestachelnden Mannes, die Nikomachos mit allen Zügeln
zielsicher führte"60).
Viel öfter erscheint xaigög als Aufgabe des Dichters :m>A2ebv inißav xaigöv
oi) yevöet, ßaläv. Nl,18. Wir könnten ohne zu fehlen übersetzen: „Bei
vielen Dingen traf ich ins Schwarze, ohne zu irren meinen Pfeil schie-
ßend." Sinngemäßer wäre: „Viele sich mir bietende Aufgaben löste ich
richtig, ohne Falsch"61).
Daß xaigög einfach „das Richtige treffen" bezeichnet, erweist auch
0 8,24: „Schwer ist es gerade zu urteilen, nicht am Richtigen vorbei"62).
Bei dem Begriff xaigög haben wir die gleiche Vorstellung wie bei der
ögftä yMev&og. Nur die dgM xikew&og führt zum xaigög. Daher heißt auch
O 9,38 nagä xaigöv nicht „zur Unzeit", sondern wörtlich übersetzt „neben
dem Ziel hinaus", „in falsche Richtung", sinngemäß besser „unrecht-
mäßig" : „Denn die Götter schlecht zu machen ist eine hassenswerte Weis-
heit, unberechtigtes Prahlen (gemeint ist: Prahlen mit haltlosen Erzäh-
lungen) aber klingt nach Wahnsinn03).
60) I 2, 22:oi>x ifiefMfd-r] gvaiöicpgov zelga nlafyitnoio cpcotög mv Nix&ßaxog xavä
xaigöv velfi' ändaaig ävlaig.
61) Die Vorstellung des Ins-Ziel-Treffens drückt der Dichter auch direkt aus.
Vgl. N 6, 29: eXnoßai iiöya elnav axonov ävva wxelv cot' änö tö^ov leig. Jemanden
besingen ist bei ihm fast immer Pfeile schießen oder Wurfspieße, zo^eöco und
äxovzlt;®, vgl. Dornseiff, Pindars Stil, Berlin 1921. Diese merkwürdigen Bilder
muß man beim Übersetzen im Auge behalten.
e2) 6g&ä diaxgCvetv cpgevi firi magä xaigöv, övanaXeg.
63) inel to ye Xoidogijoai -&eovg iz$gä oocpiä xai tö xavxäa&at, migä xaigöv