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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 36.1942

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Hennig, Richard: Beiträge zur musikalischen Ästhetik, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.14218#0200
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R. HENNIG

durch akustische Eindrücke hervorgerufen werden. Die vorstehend zu-
meist behandelten Vokale stellen ja die einfachsten akustischen Reize dar.
Wenn schon sie so oft und so lebhaft Synopsien hervorrufen können, so
wird man es ohne weiteres begreifen, daß kompliziertere Tonwirkungen,
zumal die von der Musik ausgehenden, noch ungleich kräftigere Ge-
sichtsbilder und insbesondere auch Farbgefühle hervorzurufen vermögen.
Diesen wollen wir uns nunmehr zuwenden.

2. Farbige Musik

Lange bevor 1873 Nußbaumer als erster Forscher das Thema der
Mitempfindungen wissenschaftlich studierte, war bereits in zahlreichen
Werken der Literatur, am häufigsten in der belletristischen, auf den Ge-
genstand hingewiesen worden. Bei Goethe, Schiller, Kleist, Grillparzer,
E. T. A. Hoffmann, Tieck, Heine, Hebbel, Otto Ludwig, Mörike, Keller,
Ganghofer, Löns, Bahr u. a. lassen sich Beispiele, von denen z.T. noch
die Rede sein wird, dafür finden, daß unsren deutschen Dichtern der Ge-
genstand von jeher wohl vertraut war, ja daß viele von ihnen selber in
starkem Maße, wie auch eine erkleckliche Anzahl unsrer großen Musiker,
zum Farbhören und darüber hinaus zu einer noch weitergehenden „Gü-
tergemeinschaft der Sinne" (Herrn. Petrich) neigten.

Zu den einfachsten musikalischen Eindrücken, die solche Farbgefühle
erzeugen können, gehören die Vogelstimmen. Ihre Wirkung hat Ger-
stäcker in seinem Roman „Der Kunstreiter" besonders liebevoll ge-
schildert, in dem er einen alten Mann sagen läßt:

„Die Grasmücke singt rot, aber kein brennendes, schmerzendes Rot,
wie der Kanarienvogel, sondern sanft und doch leuchtend, wie ich nur
einmal in meinem Leben am nördlichen gestirnten Himmel habe Strahlen
aufschießen sehen. Die Nachtigall singt dunkelblau—dunkelblau wie der
Nachthimmel selber, daß man die beiden kaum voneinander unterschei-
den kann7). Die Lerche singt jenes wundervolle Korngelb der reifen
Ähren7), das Rotschwänzchen ein allerliebstes bläuliches Grau, die
Schwalbe weiß, der Nußhäher, der spöttische Gesell, ein tiefes Schwarz,
ich mag den geschwätzigen, hirnlosen Burschen auch deshalb nicht be-
sonders leiden; die Drossel singt dunkelgrün, und fast alle Farben fin-
den sich unter den Sängern des Waldes, alle mit ihren leisesten Schat-
tierungen, nur nicht hellblau, und nur ein einziges Mal, und zwar eine
einzige Nacht, habe ich eine Nachtigall gehört, die hellblau sang, und
das war das schönste Himmelblau, das man sich nur denken kann."
Sogar in einer streng wissenschaftlichen Zeitschrift, im „Archiv für

7) Offenbar hat in diesen zwei Fällen ein wirklich geschauler Natureindruck die
Farbenempfindung in der Jugend beeinflußt.
 
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