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OTTO KÜHNE
ihr um etwas näher zu bringen, um einen dritten Charakter zu er-
zeugen, der, mit jenen beiden verwandt, von der Herrschaft bloßer (sinn-
licher) Kräfte zu der Herrschaft der (sittlichen) Gesetze einen Übergang
bahnte und, ohne den moralischen Charakter an seiner Entwicklung zu
verhindern, vielmehr zu einem sinnlichen Pfand der unsichtbaren Sitt-
lichkeit diente" (S. 9). Zu diesem Zwecke gelte es vor allem, den Willen
des Menschen, der stets zwischen Pflicht und Neigung, Vernunft und Er-
fahrung, Idee und Erscheinung hin und her pendele, richtig zu lenken.
Der Mensch in der (tatsächlichen) Erscheinung der betreffenden Zeit steht
so dem Menschen in der (reinen) Idee gegenüber. Ersteren sieht Schiller
verkörpert im Individuum, letzteren im Staat. Es käme somit darauf an,
daß der Staat sich in den Individuen behaupte. Dies sei z. B. auf zweierlei
Weise denkbar, nämlich dadurch, „daß entweder der reine (ideale) Mensch
den empirischen unterdrückt, daß also der Staat die Individuen auf-
hebt, oder dadurch, daß das Individuum Staat wird, daß also der Mensch
(in) der Zeit zum Menschen (in) der Idee sich veredelt" (S. 11). Damit
wäre aber, was Schiller deshalb auch entschieden verwirft, — im Gegen-
satz zu einer polar-harmonischen —, immer nur eine dialektische, also
unfreie und gewaltsame Lösungsform gefunden, die sich nur bei oberfläch-
licher Betrachtungsweise leicht aufdrängen kann, nämlich nur dadurch,
daß die Vernunft zwar Einheit fordert, die Natur aber Mannig-
faltigkeit. Es würde aber „von einer mangelhaften Bildung zeugen,
wenn der sittliche Charakter nur mit Aufopferung des Natürlichen
sich behaupten kann" (ib. 11). Der Staat solle eben auch seinen sub-
jektiven Charakter in den Individuen ehren.
Schiller vergleicht hierbei die richtige Handlungsweise des „politischen
Künstlers" mit der des „mechanischen Künstlers". Wenn der mechanische
Künstler seine Hand an die gestaltlose Masse lege, um ihr die Form seiner
Zwecke (Inhalte) zu geben, so trage er keine Bedenken, ihr G e w a 11 an-
zutun: denn die Natur, die er bearbeitet, verdiene für sich selbst keine
Achtung; es liegt ihm ja hierbei „nicht an dem Ganzen um der Teile
willen, sondern an den Teilen um des Ganzen willen". Ähnlich verfahre
auch der „schöne Künstler", nur mit dem unbedeutenden Unterschiede,
daß er das Auge über die geringe Achtung, welche er dem von der Natur
dargebotenen Stoff entgegenbringt, nach außen hin zu täuschen suche.
„Ganz anders aber verhält es sich mit dem pädagogischen und politischen
Künstler, der den Menschen zugleich zu seinem Material (sc. Mittel) und
zu seiner Aufgabe (sc. Zweck) macht. Hier kehrt der Zweck {geistige In-
halt) in den Stoff (der Natur) zurück, und nur, weil das Ganze
den Teilen dient, dürfen sich die Teile dem Ganzen fügen. Mit
einer ganz anderen Achtung, als diejenige ist, die der schöne Künstler
OTTO KÜHNE
ihr um etwas näher zu bringen, um einen dritten Charakter zu er-
zeugen, der, mit jenen beiden verwandt, von der Herrschaft bloßer (sinn-
licher) Kräfte zu der Herrschaft der (sittlichen) Gesetze einen Übergang
bahnte und, ohne den moralischen Charakter an seiner Entwicklung zu
verhindern, vielmehr zu einem sinnlichen Pfand der unsichtbaren Sitt-
lichkeit diente" (S. 9). Zu diesem Zwecke gelte es vor allem, den Willen
des Menschen, der stets zwischen Pflicht und Neigung, Vernunft und Er-
fahrung, Idee und Erscheinung hin und her pendele, richtig zu lenken.
Der Mensch in der (tatsächlichen) Erscheinung der betreffenden Zeit steht
so dem Menschen in der (reinen) Idee gegenüber. Ersteren sieht Schiller
verkörpert im Individuum, letzteren im Staat. Es käme somit darauf an,
daß der Staat sich in den Individuen behaupte. Dies sei z. B. auf zweierlei
Weise denkbar, nämlich dadurch, „daß entweder der reine (ideale) Mensch
den empirischen unterdrückt, daß also der Staat die Individuen auf-
hebt, oder dadurch, daß das Individuum Staat wird, daß also der Mensch
(in) der Zeit zum Menschen (in) der Idee sich veredelt" (S. 11). Damit
wäre aber, was Schiller deshalb auch entschieden verwirft, — im Gegen-
satz zu einer polar-harmonischen —, immer nur eine dialektische, also
unfreie und gewaltsame Lösungsform gefunden, die sich nur bei oberfläch-
licher Betrachtungsweise leicht aufdrängen kann, nämlich nur dadurch,
daß die Vernunft zwar Einheit fordert, die Natur aber Mannig-
faltigkeit. Es würde aber „von einer mangelhaften Bildung zeugen,
wenn der sittliche Charakter nur mit Aufopferung des Natürlichen
sich behaupten kann" (ib. 11). Der Staat solle eben auch seinen sub-
jektiven Charakter in den Individuen ehren.
Schiller vergleicht hierbei die richtige Handlungsweise des „politischen
Künstlers" mit der des „mechanischen Künstlers". Wenn der mechanische
Künstler seine Hand an die gestaltlose Masse lege, um ihr die Form seiner
Zwecke (Inhalte) zu geben, so trage er keine Bedenken, ihr G e w a 11 an-
zutun: denn die Natur, die er bearbeitet, verdiene für sich selbst keine
Achtung; es liegt ihm ja hierbei „nicht an dem Ganzen um der Teile
willen, sondern an den Teilen um des Ganzen willen". Ähnlich verfahre
auch der „schöne Künstler", nur mit dem unbedeutenden Unterschiede,
daß er das Auge über die geringe Achtung, welche er dem von der Natur
dargebotenen Stoff entgegenbringt, nach außen hin zu täuschen suche.
„Ganz anders aber verhält es sich mit dem pädagogischen und politischen
Künstler, der den Menschen zugleich zu seinem Material (sc. Mittel) und
zu seiner Aufgabe (sc. Zweck) macht. Hier kehrt der Zweck {geistige In-
halt) in den Stoff (der Natur) zurück, und nur, weil das Ganze
den Teilen dient, dürfen sich die Teile dem Ganzen fügen. Mit
einer ganz anderen Achtung, als diejenige ist, die der schöne Künstler