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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: Zweiter Kongreß für Ästhethik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin, 16.-18. Oktober 1924 — 19.1925

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Kreis, Friedrich: Über die Möglichkeit einer Ästhetik vom Standpunkt der Wertphilosophie
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https://doi.org/10.11588/diglit.3819#0050

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ÜBER DIE MÖGLICHKEIT EINER ÄSTHETIK. 43

uns ebenso anschaulich gegeben ist wie die Wahrnehmung selbst.
Daß wir nun die Existenz dieses ästhetischen Sinnes bereits an einem
so primitiven und elementaren Vorgang wie dem Erlebnis eines Rot
oder Blau aufzuzeigen vermögen, das schließt von vornherein das Miß-
verständnis aus, als seien erst die höchst komplexen Sinngebilde, die
wir als den Inhalt jedes großen und bedeutenden Kunstwerkes an-
treffen, ästhetisch verständlich. Wenn wir davon sprechen, daß wir im
ästhetischen Erleben irgend etwas unmittelbar verstehen, so denken
wir bei dieser Feststellung noch gar nicht daran, daß uns in kompli-
zierten Gebilden der Kunst eine Fülle verständlicher Zusammenhänge
entgegentritt, die wir sogar auf Begriffe bringen und über die wir
reden können. Was wir an Goethes Faust, an Feuerbachs Gastmahl des
Plato, an einer Plastik Rodins verstehen, das ist in der Regel gar nicht
unvermittelt, sondern beruht auf den mannigfachsten Voraussetzungen
theoretisch-atheoretischer Art, über die in der Kürze nichts auszu-
machen ist. Die Frage nun, inwiefern gerade dieses zum Teil durchaus
rationale Verstehen von Sinngehalt seinerseits erst das ästhetische Ver-
ständnis des betreffenden Kunstwerks bedingt, diese Frage hat im Zu-
sammenhang einer ausgeführten Ästhetik ihren durchaus berechtigten
Platz, gehört aber nicht zu den rein prinzipiellen Überlegungen, die
wir hier anstellen. Was uns hier allein interessiert, ist eben die Tat-
sache, daß wir ästhetischen Sinn bereits in der begrifflich noch völlig
unvermittelten Erfahrung anzutreffen vermögen. Es ist ohne Zweifel
ein Verdienst des Intuitionismus, unser Augenmerk gerade darauf
gerichtet zu haben, daß schon in jeder einfachen Wahrnehmung eine
Bedeutung enthalten sein kann, die wir ohne begrifflich theoretische
Vermittlung unmittelbar anschaulich verstehen. Man wird sich ange-
sichts dieses Sachverhaltes eines mit der Wahrnehmung unmittelbar
verknüpften ästhetischen Sinnes nicht wundern dürfen, daß nun sofort
Schwierigkeiten beginnen, sobald man versucht, den Charakter dieses
ästhetischen Sinngehaltes näher zu bestimmen. Tatsächlich leisten Aus-
sagen wie die, »dieser Sinn sei anschaulich und unmittelbar gegeben«,
nicht mehr, als daß sie ihn gegen die Sphäre des Theoretisch-Begriff-
lichen abgrenzen und von ihr fernhalten. Positives besagen sie noch
gar nichts. Ja, es hat den Anschein, als ob der bloße Hinweis auf die
Existenz eines solchen atheoretischen Sinnes überhaupt das einzig
Positive sei, das wir von ihm auszumachen vermöchten. Wir können
aufzuzeigen versuchen, daß es Wahrnehmungen gibt, die unsere Teil-
nahme in einem ganz anderen Maße erregen, als das sonst bei bloß
Wirklichem der Fall zu sein pflegt. Wir dürfen hieraus folgern, daß
uns eben diese Wahrnehmungen einen verständlichen Sinn erschließen,
und müssen uns im übrigen damit begnügen, den Charakter dieses
 
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