84 PAUL ZUCKER.
sich viele Verschiedenheiten der mittelalterlichen Bauschulen unterein-
ander nur durch das Einsetzen einer ganz individuellen Gestaltungs-
kraft erklären. Gewiß soll die Kontinuität der (manchmal gleichsam
unterirdischen) Weiterentwicklung antiker Formeinzelheiten und ihr
Einfluß auf bestimmte formale Provinzen, so namentlich für Südfrank-
reich nicht unterschätzt werden. Gewiß erklären Ordensregeln manche
Form Wandlung und Formverschleppung. Das Auftreten — um nur ein
Beispiel zu nennen — der verschiedenen Chorendigungen, das sachlich
liturgisch völlig unbegründet ist, bis zum Parier Chor hin ist durch
die beliebten Ableitungen von je einem bestimmten Vorbild, durch
Nachweis und Begründung der manchmal wirklich kuriosen Wande-
rungen doch nicht im geringsten erklärt. Denn die erstmalige Er-
scheinung wird ja nie begründet. Hier muß eben ein subjektiver
Einzelwillen vorausgesetzt werden. Ein gleiches gilt später für die
Verhältnisse der Traveen (vgl. Schmarsow), während die Verschiedenheit
der Kapitellformen schon mehr zur Entwicklung des Ornaments über-
leitet und daher hier nicht interessiert. Hier überall ist der Subjek-
tivismus der ersten unabgeleiteten willkürlichen Erfin-
dung ebenso klar, wie bei den späteren differenzierten Abweichungen
bestimmter Einzellösungen untereinander, wie etwa der Unterschied-
lichkeit der Turmlösungen von Freiburg, Straßburg, Ulm. (Daß uns hier
die Namen der Meister erhalten sind, spricht ebensowenig für den
Subjektivismus der Lösung, wie die Tatsache dagegen spricht, daß
die Quellen und Wanderungen der einzelnen Motive beinahe in jedem
Detail sich nachweisen lassen. Also sollte auch die durch die Weite
des historischen Abstandes bewirkte Anonymität jener interessanten
Neulösungen der romanischen und Übergangszeit wohl nicht gegen
ihren klar zu Tage tretenden Subjektivismus sprechen.) Merkwürdiger-
weise war man allgemein von dem Problem der Wanderung so fa-
sziniert, daß das viel wichtigere der Entstehung kaum diskutiert
wurde — um so wunderbarer, da im kleinen, in der Geschichte des
Ornamentes, eine ungeheure polemische Literatur über jeden Einzelfall
existiert.
IV.
Kurz, die entscheidende Frage nach dem »Warum« dieser Wande-
rungen und Wandlungen, dieses Wiederauftauchens oder Neuerstehens
irgend welcher Einzelformen oder Raumfügungen wird nie gestellt —
oder, falls dies geschieht, — rein rationalistisch, aus technischen, sta-
tischen, dynamischen, materiellen Faktoren zu erklären versucht. Diese
können aber nur als Bedingtheiten eine Form erklären, niemals sie
schaffen. Hier muß doch auf den Subjektivismus des einzelnen Kunst-
sich viele Verschiedenheiten der mittelalterlichen Bauschulen unterein-
ander nur durch das Einsetzen einer ganz individuellen Gestaltungs-
kraft erklären. Gewiß soll die Kontinuität der (manchmal gleichsam
unterirdischen) Weiterentwicklung antiker Formeinzelheiten und ihr
Einfluß auf bestimmte formale Provinzen, so namentlich für Südfrank-
reich nicht unterschätzt werden. Gewiß erklären Ordensregeln manche
Form Wandlung und Formverschleppung. Das Auftreten — um nur ein
Beispiel zu nennen — der verschiedenen Chorendigungen, das sachlich
liturgisch völlig unbegründet ist, bis zum Parier Chor hin ist durch
die beliebten Ableitungen von je einem bestimmten Vorbild, durch
Nachweis und Begründung der manchmal wirklich kuriosen Wande-
rungen doch nicht im geringsten erklärt. Denn die erstmalige Er-
scheinung wird ja nie begründet. Hier muß eben ein subjektiver
Einzelwillen vorausgesetzt werden. Ein gleiches gilt später für die
Verhältnisse der Traveen (vgl. Schmarsow), während die Verschiedenheit
der Kapitellformen schon mehr zur Entwicklung des Ornaments über-
leitet und daher hier nicht interessiert. Hier überall ist der Subjek-
tivismus der ersten unabgeleiteten willkürlichen Erfin-
dung ebenso klar, wie bei den späteren differenzierten Abweichungen
bestimmter Einzellösungen untereinander, wie etwa der Unterschied-
lichkeit der Turmlösungen von Freiburg, Straßburg, Ulm. (Daß uns hier
die Namen der Meister erhalten sind, spricht ebensowenig für den
Subjektivismus der Lösung, wie die Tatsache dagegen spricht, daß
die Quellen und Wanderungen der einzelnen Motive beinahe in jedem
Detail sich nachweisen lassen. Also sollte auch die durch die Weite
des historischen Abstandes bewirkte Anonymität jener interessanten
Neulösungen der romanischen und Übergangszeit wohl nicht gegen
ihren klar zu Tage tretenden Subjektivismus sprechen.) Merkwürdiger-
weise war man allgemein von dem Problem der Wanderung so fa-
sziniert, daß das viel wichtigere der Entstehung kaum diskutiert
wurde — um so wunderbarer, da im kleinen, in der Geschichte des
Ornamentes, eine ungeheure polemische Literatur über jeden Einzelfall
existiert.
IV.
Kurz, die entscheidende Frage nach dem »Warum« dieser Wande-
rungen und Wandlungen, dieses Wiederauftauchens oder Neuerstehens
irgend welcher Einzelformen oder Raumfügungen wird nie gestellt —
oder, falls dies geschieht, — rein rationalistisch, aus technischen, sta-
tischen, dynamischen, materiellen Faktoren zu erklären versucht. Diese
können aber nur als Bedingtheiten eine Form erklären, niemals sie
schaffen. Hier muß doch auf den Subjektivismus des einzelnen Kunst-