DIE GRUNDKRÄFTE DES EXPRESSIONISMUS. H3
Reaktion auf die vorausgegangene Kunstphase erlebt haben, so ergibt
sich für eine äußerliche Betrachtung als Hauptunterscheidungsmerkmal
der Gegensatz zum Naturalismus, d. h. zu dem Bestreben, die Welt,
wie sie uns umgibt, zur Grundlage der künstlerischen Formung zu
machen. Freilich haben sehr verschiedene Kunstepochen von sich be-
hauptet, naturalistisch zu sein, so daß es scheint, als ob die Entschei-
dung, welches Naturbild denn als Grundlage für die Feststellung der
Abweichungen dienen soll, nicht möglich wäre. Aber abgesehen von
den direkten Äußerungen der expressionistischen Künstler gegen jede
Naturnachahmung sind die verschiedenen Varianten der Naturdarstel-
lung in jenen anderen Perioden verglichen mit den expressionistischen
unverhältnismäßig gering, der Zusammenhang mit dem, was man
gewissermaßen als objektive Feststellung des Naturgegebenen bezeich-
nen könnte, wie die Photographie oder ähnliche technische Hilfsmittel
sie uns vermitteln, ungleich inniger als im Bereich des Expressionis-
mus. Wir kommen also zu einer vorläufigen Charakteristik des Expres-
sionismus als einer Kunst, die um des Ausdrucks willen deutlich und
bewußt von der Natur abweicht.
Aber auch hierfür finden sich in früheren Epochen zahlreiche, von
den expressionistischen Künstlern besonders in der ersten Kampfzeit
im weiten Umfange als Kronzeugen herangeholte Parallelen in früheren
europäischen und in außereuropäischen Kunstbezirken. Sowohl in der
Antike (besonders im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr.) als auch im ganzen
Mittelalter gibt es unzählige Werke dieser Art.
Die Entwicklung, die zur expressionistischen Kunst geführt hat,
ist klar erkennbar. Verschiedene Gruppen von Kräften lassen sich deut-
lich verfolgen: solche, die aus der Form stammen, solche, die von der
inneren Bedeutung des Werkes ausgehen. Natürlich wirken sie in sehr
verschiedenen Weisen und mit sehr verschiedener Stärke durch ein-
ander. Der Impressionismus hatte sich zum Ziel gesetzt, »voraus-
setzungslose« Natur zu geben, die unverschleierte, unbeschönigte, reine
Wirklichkeit widerzuspiegeln. Auf dem Gebiete der Malerei hat er
sich nur auf die Lichterscheinung beschränkt, auf alle Romantik oder
sonstige Tendenz verzichtet, jeden noch so gleichgültigen Gegenstand
für darstellenswert gehalten. Er tat das mit Hilfe der Farbe, die in
größter Anstrengung der natürlichen Erscheinung angenähert wurde.
Es entstand das Spiel des farbigen Lichtes. Der einzelne Farbfleck aber,
der einzelne spektrale Farbpunkt, der schließlich zum immer wieder-
kehrenden Grundelement des Farbganzen wurde, fing an, ein eigenes
Leben zu führen, eine selbständige Entwicklung durchzumachen, und
das Gleiche vollzog sich auf dem Gebiete der in der Farbe einge-
schlossenen Raumform.
Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XIX. 8
Reaktion auf die vorausgegangene Kunstphase erlebt haben, so ergibt
sich für eine äußerliche Betrachtung als Hauptunterscheidungsmerkmal
der Gegensatz zum Naturalismus, d. h. zu dem Bestreben, die Welt,
wie sie uns umgibt, zur Grundlage der künstlerischen Formung zu
machen. Freilich haben sehr verschiedene Kunstepochen von sich be-
hauptet, naturalistisch zu sein, so daß es scheint, als ob die Entschei-
dung, welches Naturbild denn als Grundlage für die Feststellung der
Abweichungen dienen soll, nicht möglich wäre. Aber abgesehen von
den direkten Äußerungen der expressionistischen Künstler gegen jede
Naturnachahmung sind die verschiedenen Varianten der Naturdarstel-
lung in jenen anderen Perioden verglichen mit den expressionistischen
unverhältnismäßig gering, der Zusammenhang mit dem, was man
gewissermaßen als objektive Feststellung des Naturgegebenen bezeich-
nen könnte, wie die Photographie oder ähnliche technische Hilfsmittel
sie uns vermitteln, ungleich inniger als im Bereich des Expressionis-
mus. Wir kommen also zu einer vorläufigen Charakteristik des Expres-
sionismus als einer Kunst, die um des Ausdrucks willen deutlich und
bewußt von der Natur abweicht.
Aber auch hierfür finden sich in früheren Epochen zahlreiche, von
den expressionistischen Künstlern besonders in der ersten Kampfzeit
im weiten Umfange als Kronzeugen herangeholte Parallelen in früheren
europäischen und in außereuropäischen Kunstbezirken. Sowohl in der
Antike (besonders im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr.) als auch im ganzen
Mittelalter gibt es unzählige Werke dieser Art.
Die Entwicklung, die zur expressionistischen Kunst geführt hat,
ist klar erkennbar. Verschiedene Gruppen von Kräften lassen sich deut-
lich verfolgen: solche, die aus der Form stammen, solche, die von der
inneren Bedeutung des Werkes ausgehen. Natürlich wirken sie in sehr
verschiedenen Weisen und mit sehr verschiedener Stärke durch ein-
ander. Der Impressionismus hatte sich zum Ziel gesetzt, »voraus-
setzungslose« Natur zu geben, die unverschleierte, unbeschönigte, reine
Wirklichkeit widerzuspiegeln. Auf dem Gebiete der Malerei hat er
sich nur auf die Lichterscheinung beschränkt, auf alle Romantik oder
sonstige Tendenz verzichtet, jeden noch so gleichgültigen Gegenstand
für darstellenswert gehalten. Er tat das mit Hilfe der Farbe, die in
größter Anstrengung der natürlichen Erscheinung angenähert wurde.
Es entstand das Spiel des farbigen Lichtes. Der einzelne Farbfleck aber,
der einzelne spektrale Farbpunkt, der schließlich zum immer wieder-
kehrenden Grundelement des Farbganzen wurde, fing an, ein eigenes
Leben zu führen, eine selbständige Entwicklung durchzumachen, und
das Gleiche vollzog sich auf dem Gebiete der in der Farbe einge-
schlossenen Raumform.
Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XIX. 8