262 EDUARD ORTNER.
wonnen werden, und diese Klärung zu versuchen, wird somit die
Hauptaufgabe meines heutigen Vortrages sein.
Ich gehe hiebei von der tiefgründigen Erörterung Dohrnsx) aus,
der zuerst mit der Erkenntnis Ernst machte, daß die Bestimmung der
poetischen Kategorien des Epischen, Dramatischen und Lyrischen
nicht vom Standpunkt der Produktion her, noch durch irgendwelche
inhaltliche Momente erfolgen dürfe, sondern einzig und allein auf Grund
des reinen ästhetischen Gegenstandes, so wie er in der Anschauung
dessen, der die Dichtung genießt, vorliegt, und der so zur weiteren
und entscheidenden Erkenntnis kam, daß die Unterschiede obiger
Kategorien in den Unterschieden der Sprachfunktion begründet seien.
Nach Dohrn sind die Worte einerseits Träger von Bedeutungen, andrer-
seits Träger eines seelischen Ausdrucks; beides in jedem Fall, aber
nicht immer im gleichen Maße. Je nachdem nun die Sprache vorzugs-
weise als Bericht oder als Äußerung eines Ich aufgefaßt wird, haben
wir es mit einer epischen oder einer dramatischen, beziehungsweise
lyrischen Darstellung zu tun. Der Unterschied von Dramatik und Lyrik
aber wird darin gesehen, daß es sich im ersten Fall um die Äußerung
einer konkreten, individuellen Person handelt, während im zweiten
Fall nur ein allgemeineres Ich seinen Ausdruck findet.
Mit diesen Bestimmungen ist unzweifelhaft Wesentliches getroffen.
Soweit sie der Epik gelten, sind sie wohl auch als endgültig anzu-
sprechen. Dagegen bedarf die begriffliche Fassung des Dramatischen
einer Abänderung und die des Lyrischen muß, trotz der ganz ausge-
zeichneten Charakterisierung, die es im Vergleich mit dem Dramatischen
erfährt, als verfehlt bezeichnet werden. Dohrn verfällt nämlich dem
Irrtum, Äußerung und Ausdruck zusammenzuwerfen. Nun ist ja natür-
lich der sprachliche Ausdruck, wie er sich im Klang, im Rhythmus,
in der Dynamik, in der Melodik, in der Wortwahl, in der Konstruktion
der Sätze u. dgl. darbietet, zumeist wohl der Ausdruck eines Seelischen,
aber er ist es doch in demselben Sinne, in welchem auch beispielsweise
das Murmeln der Quelle oder das Rollen des Donners Ausdruck ist,
nicht aber im Sinne der Äußerung eines realen Ich. Umgekehrt ist die
Äußerung eines solchen, die das Wort zu einem Wirkenden und zu-
gleich Gewirkten macht — im Drama ist z. B. ein Wort dadurch bedingt,
daß ein anderes gehört wird — durchaus kein Ausdruck im obigen
Sinne; es ist kein Charakter, der an dem Laut selbst unmittelbar haftet
und mit ihm sich ändert, sondern der ein selbständigeres Dasein besitzt
und eben erst durch eine Bezugnahme auf eine Wirklichkeit, die dahinter
steht — das »persönlich bestimmte Ich« Dohrns — sich ihm verbindet.
') Wolf Dohrn, Die künstlerische Darstellung als Problem der Ästhetik, 1907.
wonnen werden, und diese Klärung zu versuchen, wird somit die
Hauptaufgabe meines heutigen Vortrages sein.
Ich gehe hiebei von der tiefgründigen Erörterung Dohrnsx) aus,
der zuerst mit der Erkenntnis Ernst machte, daß die Bestimmung der
poetischen Kategorien des Epischen, Dramatischen und Lyrischen
nicht vom Standpunkt der Produktion her, noch durch irgendwelche
inhaltliche Momente erfolgen dürfe, sondern einzig und allein auf Grund
des reinen ästhetischen Gegenstandes, so wie er in der Anschauung
dessen, der die Dichtung genießt, vorliegt, und der so zur weiteren
und entscheidenden Erkenntnis kam, daß die Unterschiede obiger
Kategorien in den Unterschieden der Sprachfunktion begründet seien.
Nach Dohrn sind die Worte einerseits Träger von Bedeutungen, andrer-
seits Träger eines seelischen Ausdrucks; beides in jedem Fall, aber
nicht immer im gleichen Maße. Je nachdem nun die Sprache vorzugs-
weise als Bericht oder als Äußerung eines Ich aufgefaßt wird, haben
wir es mit einer epischen oder einer dramatischen, beziehungsweise
lyrischen Darstellung zu tun. Der Unterschied von Dramatik und Lyrik
aber wird darin gesehen, daß es sich im ersten Fall um die Äußerung
einer konkreten, individuellen Person handelt, während im zweiten
Fall nur ein allgemeineres Ich seinen Ausdruck findet.
Mit diesen Bestimmungen ist unzweifelhaft Wesentliches getroffen.
Soweit sie der Epik gelten, sind sie wohl auch als endgültig anzu-
sprechen. Dagegen bedarf die begriffliche Fassung des Dramatischen
einer Abänderung und die des Lyrischen muß, trotz der ganz ausge-
zeichneten Charakterisierung, die es im Vergleich mit dem Dramatischen
erfährt, als verfehlt bezeichnet werden. Dohrn verfällt nämlich dem
Irrtum, Äußerung und Ausdruck zusammenzuwerfen. Nun ist ja natür-
lich der sprachliche Ausdruck, wie er sich im Klang, im Rhythmus,
in der Dynamik, in der Melodik, in der Wortwahl, in der Konstruktion
der Sätze u. dgl. darbietet, zumeist wohl der Ausdruck eines Seelischen,
aber er ist es doch in demselben Sinne, in welchem auch beispielsweise
das Murmeln der Quelle oder das Rollen des Donners Ausdruck ist,
nicht aber im Sinne der Äußerung eines realen Ich. Umgekehrt ist die
Äußerung eines solchen, die das Wort zu einem Wirkenden und zu-
gleich Gewirkten macht — im Drama ist z. B. ein Wort dadurch bedingt,
daß ein anderes gehört wird — durchaus kein Ausdruck im obigen
Sinne; es ist kein Charakter, der an dem Laut selbst unmittelbar haftet
und mit ihm sich ändert, sondern der ein selbständigeres Dasein besitzt
und eben erst durch eine Bezugnahme auf eine Wirklichkeit, die dahinter
steht — das »persönlich bestimmte Ich« Dohrns — sich ihm verbindet.
') Wolf Dohrn, Die künstlerische Darstellung als Problem der Ästhetik, 1907.