268 FRANZ HILKER.
Deutschland wurde die allgemeine Kunsterziehungsbewegung
auf das besondere Gebiet der Jugendbildung und der Schule über-
tragen durch eine Reihe von Veröffentlichungen, als deren eindrucks-
vollste Langbehns 1890 anonym erschienenes Buch »Rembrandt als
Erzieher« angesehen werden kann. In diesem Buch versucht der Ver-
fasser, der ästhetischen Bildung das Daseins-, ja sogar das Vorzugs-
recht gegenüber der einseitigen intellektuellen Schulung zu erkämpfen.
Seine Kulturauffassung zeigt sich in der Bemerkung, daß bisher nicht
Gelehrte, sondern Künstler die am weitesten vorragenden Höhepunkte
der deutschen Bildung darstellten: Walther von der Vogelweide und
Dürer, Shakespeare und Rembrandt, Goethe und Beethoven, nicht die
Scholastiker, die Renaissancephilologen oder die Naturwissenschaftler
von heute. »Stellt man den Begriff der Kunst, der logisch an die Spitze
des menschlichen Daseins gehört, auch real an die Spitze desselben,
so ist« — nach Langbehns Worten und Auffassung — »die Aufgabe
einer wahren Bildung gelöst. Ganz besonders wird das für die Deut-
schen der Fall sein, welche ohnehin schon durch ihre individuelle
Charakteranlage vorzugsweise zur Kunst bestimmt sind. Sie wird als
wirksames Korrektiv gegen die auf Abwege geratene Bildung und ganz
speziell gegen das einseitige Wissenschaftstum von heute dienen kön-
nen.« Alfred Lichtwark, der 1887 in Hamburg seinen Vortrag über
»Kunst und Schule« hielt und in der Folgezeit eine Reihe von kunst-
pädagogischen Schriften veröffentlichte, sowie Konrad Lange, der
Verfasser der »Künstlerischen Erziehung der deutschen Jugend« (Darm-
stadt 1893) bauten den Kunsterziehungsgedanken weiter aus, ohne
jedoch in Langbehns Übertreibung und Einseitigkeit zu verfallen. Im
einleitenden Kapitel seines Buches stellt Lange vier Stufen der
künstlerischen Erziehung auf: Entwicklung der Anschauung,
Kräftigung des Formgedächtnisses, Ausbildung der ästhetischen Illu-
sionsfähigkeit und Anleitung zur technischen Geschicklichkeit, die
letztere, um das »eigentümliche Wesen des künstlerischen Schaffens
zu verstehen und zu würdigen«. Er untersucht dann die Methoden
der künstlerischen Erziehung in Kinderstube, Schule
und Hochschule. Die künstlerische Tätigkeit des Kindes be-
steht für ihn im Spielen, Betrachten von Bilderbüchern und Hand-
beschäftigung, worunter er das Hantieren mit Baukästen, Legetafeln
und Legestäbchen versteht; Modellieren und Zeichnen hält er in diesem
Alter nicht für empfehlenswert. In der Schule soll die Erziehung dem
jungen Menschen nicht nur ein gewisses Maß positiver Kenntnisse
oder Fertigkeiten mitteilen, die er später verwerten kann, sondern auch
seinen Körper und seine Sinne derart ausbilden, daß er für die ver-
schiedenen Genüsse, die das Leben bietet, empfänglich ist. K. Lange
Deutschland wurde die allgemeine Kunsterziehungsbewegung
auf das besondere Gebiet der Jugendbildung und der Schule über-
tragen durch eine Reihe von Veröffentlichungen, als deren eindrucks-
vollste Langbehns 1890 anonym erschienenes Buch »Rembrandt als
Erzieher« angesehen werden kann. In diesem Buch versucht der Ver-
fasser, der ästhetischen Bildung das Daseins-, ja sogar das Vorzugs-
recht gegenüber der einseitigen intellektuellen Schulung zu erkämpfen.
Seine Kulturauffassung zeigt sich in der Bemerkung, daß bisher nicht
Gelehrte, sondern Künstler die am weitesten vorragenden Höhepunkte
der deutschen Bildung darstellten: Walther von der Vogelweide und
Dürer, Shakespeare und Rembrandt, Goethe und Beethoven, nicht die
Scholastiker, die Renaissancephilologen oder die Naturwissenschaftler
von heute. »Stellt man den Begriff der Kunst, der logisch an die Spitze
des menschlichen Daseins gehört, auch real an die Spitze desselben,
so ist« — nach Langbehns Worten und Auffassung — »die Aufgabe
einer wahren Bildung gelöst. Ganz besonders wird das für die Deut-
schen der Fall sein, welche ohnehin schon durch ihre individuelle
Charakteranlage vorzugsweise zur Kunst bestimmt sind. Sie wird als
wirksames Korrektiv gegen die auf Abwege geratene Bildung und ganz
speziell gegen das einseitige Wissenschaftstum von heute dienen kön-
nen.« Alfred Lichtwark, der 1887 in Hamburg seinen Vortrag über
»Kunst und Schule« hielt und in der Folgezeit eine Reihe von kunst-
pädagogischen Schriften veröffentlichte, sowie Konrad Lange, der
Verfasser der »Künstlerischen Erziehung der deutschen Jugend« (Darm-
stadt 1893) bauten den Kunsterziehungsgedanken weiter aus, ohne
jedoch in Langbehns Übertreibung und Einseitigkeit zu verfallen. Im
einleitenden Kapitel seines Buches stellt Lange vier Stufen der
künstlerischen Erziehung auf: Entwicklung der Anschauung,
Kräftigung des Formgedächtnisses, Ausbildung der ästhetischen Illu-
sionsfähigkeit und Anleitung zur technischen Geschicklichkeit, die
letztere, um das »eigentümliche Wesen des künstlerischen Schaffens
zu verstehen und zu würdigen«. Er untersucht dann die Methoden
der künstlerischen Erziehung in Kinderstube, Schule
und Hochschule. Die künstlerische Tätigkeit des Kindes be-
steht für ihn im Spielen, Betrachten von Bilderbüchern und Hand-
beschäftigung, worunter er das Hantieren mit Baukästen, Legetafeln
und Legestäbchen versteht; Modellieren und Zeichnen hält er in diesem
Alter nicht für empfehlenswert. In der Schule soll die Erziehung dem
jungen Menschen nicht nur ein gewisses Maß positiver Kenntnisse
oder Fertigkeiten mitteilen, die er später verwerten kann, sondern auch
seinen Körper und seine Sinne derart ausbilden, daß er für die ver-
schiedenen Genüsse, die das Leben bietet, empfänglich ist. K. Lange