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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: Zweiter Kongreß für Ästhethik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin, 16.-18. Oktober 1924 — 19.1925

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Abert, Hermann: Geistlich und Weltlich in der Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3819#0405

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398 HERMANN ABERT.

Ethoslehre einen ausgesprochen religiösen Charakter trägt und so un-
griechisch wie nur möglich ist. Die Musik tritt in der Spätantike in
den Dienst der zahlreichen religiösen Gemeinden, die nur durch den
gemeinsamen Glauben zusammengehalten werden. Dieser Glaube aber,
in dem alle Lebensäußerungen der Eingeweihten gipfeln, trägt mit
seiner Sehnsucht nach unmittelbarer göttlicher Offenbarung einen aus-
gesprochen weltflüchtigen Zug, der auch in der Musikanschauung
klar zutage tritt. Die Musik besitzt als Vermittlerin göttlicher Offen-
barung gleichfalls göttliche Kraft, ebenso wie die wunderwirkenden
Götterbilder des Jamblichos, das Seitenstück der christlichen Bilder-
verehrung. Hier stehen wir überhaupt vor den Wurzeln der christlichen
Musikästhetik mit ihrem Grundsatz: aut sacra sit musica aut non sit.
Im Dienste des göttlichen Wortes ist sie ein lebendiges Bindeglied
für die Gläubigen, ein Geschenk der göttlichen Gnade, außerhalb jenes
Dienstes bleibt sie tot: der echte Gläubige wird gar nie in Versuchung
kommen, sie eigenmächtig auszuüben, da er fühlt, daß dadurch das
Göttliche aus ihm verdrängt wird. So ist die Ablehnung aller welt-
lichen Musik nicht ein Akt der Willkür, sondern eine notwendige
Folge der ganzen Religiosität der Zeit.

Diese Grundlagen der Kirchenmusik wirkten aber noch weiter, als
die christliche Kirche bereits zur herrschenden, katholischen geworden
war, zu einer Zeit, da sich die allgemeinen geistigen Verhältnisse
längst verändert hatten. Der Grundsatz, daß die Musik in der Kirche
lediglich dem Ganzen zu dienen habe und jeder Versuch einer Ver-
einzelung einen Abfall vom Göttlichen bedeute, wird beibehalten, aber
nunmehr im regimentalen Geiste der Papstkirche weiter gebildet. Jetzt
kommt der Satz auf: Kirchenmusik ist die Art von Tonkunst, die das
Kirchenregiment ein für allemal vorschreibt. Es bestimmt den Wort-
laut des Textes für das, was gesungen wird, zugleich den Platz im
Gottesdienst, wo es gesungen wird, und behält sich endlich auch die
Kontrolle des musikalischen Stiles vor. So wird die Kirchenmusik eine
Hauptstütze des regimentalen Geistes im katholischen Kultus. Das
Verfahren aber, das die Kirche dabei befolgte, vereinigt in muster-
hafter Weise konservativen und liberalen Sinn, denn sie verstand es
ihre lebendigen Kräfte zu bewahren und verwechselte doch nie dabei
die Produkte ihres Lebens mit der Lebenskraft, die sie ins Dasein
gerufen hatte. Ja, es kam bei Hymnen und Sequenzen sogar schon
zu einem Paktieren mit der weltlichen Musik, und dabei zeigt sich
schon die richtige Einsicht, daß der Gegenstand, der einen Affekt
hervorgerufen hat, im musikalischen Ausdruck dieses Affektes völlig
verschwindet. Prinzipiell blieb freilich die Ablehnung der weltlichen
Tonkunst nach wie vor bestehen, ebenso wie der Grundsatz, daß
 
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