;404 HERMANN ABERT.
-meinde heraus, er darf sich gewiß nicht über die Entfaltung des christ-
lichen Glaubens in der Kirche hinwegsetzen, aber er hat doch in erster
•Linie die persönliche Überzeugung der Gemeinde in der Gegenwart
in seiner Kunst zum Ausdruck zu bringen. So hat es auch Bach mit
seiner Thomasgemeinde gehalten; der Gedanke, sich seine Kirchen-
musik aus einer um 200 Jahre zurückliegenden Zeit zu holen, wäre
ihm überhaupt unfaßbar gewesen. Gewiß lebt seine Musik noch heute
unter uns, aber als eine religiöse Kunst, die uns durch die Größe der
darin beschlossenen Persönlichkeit in die Vergangenheit zurückzwingt,
und was sich unter seinem Zeichen heute in den Kirchen zusammen-
findet, ist ein religiös, oft auch nur ästhetisch gestimmtes modernes
Publikum, aber alles eher als eine kirchliche Gemeinde. Was der heu-
tigen Kirche nottut, ist ein neuer Bach, der ihren modernen Bedürf-
nissen genügt, der alte hat weder die Aufgabe, noch die Fähigkeit
dazu. Denn um an ein Wort Luthers anzuknüpfen, es erzeugt nicht
eine gute Kirchenmusik einen lebendigen kirchlichen Sinn, sondern ein
lebendiger kirchlicher Sinn erzeugt eine gute Kirchenmusik.
Was endlich die moderne Zeit anlangt, so erscheint mir aliein schon
das viele Debattieren über das Wesen der echten Kirchenmusik ver-
dächtig. Ästhetisierende Spekulation muß dabei nur allzuoft das man-
gelnde innere Erlebnis ersetzen, und so laufen wir häufg Gefahr, von
derlei Dingen zu reden wie der Blinde von der Farbe. Vor allem scheint
mir das Problem am falschen Orte angefaßt zu sein, wenn man ihm
allein von der musikalisch-stilistischen Seite beizukommen versucht.
Denn die Voraussetzung jeder echten Kirchenmusik ist eine echte
Kirche, nicht eine offiziell anerkannte Staatskirche, sondern, um das
alte Wort zu gebrauchen, eine Kirche im Sinne der Gemeinschaft der
Heiligen, die die Kraft hat, alle ihre Glieder in Glauben und Gottes-
dienst sich als ein lebendiges Ganzes zu verpflichten. Ihr wird, wie
die Geschichte lehrt, stets eine Musik beschieden sein, die in ihrem
Dienste gleichfalls die Fähigkeit hat, jenes gemeinsame Leben zu wecken
und zu fördern; ja, sie wird darin gerade ihre höchste Aufgabe er-
blicken. Damit wird dann auch stets Gemeinverständlichkeit, veredelt
durch hohe Kunst, das Hauptmerkmal der Kirchenmusik sein, freilich
nicht im Sinne dessen, was eine einzelne Periode, sondern dessen, was
immer und überall als volkstümlich gilt, d. h. im Sinne einer Gemein-
schaft bildenden Kunst. Es ist ganz natürlich, daß die Vokalmusik da-
bei den geschichtlichen Vortritt hatte, es ist aber ebenso natürlich, daß
heutzutage die Instrumentalmusik aus der Kirche einfach nicht mehr
ausgeschlossen werden kann.
Mit der Abwendung der Musikübung vom Überpersönlichen ins
Persönliche und schließlich ins Unpersönliche treten Geistlich und
-meinde heraus, er darf sich gewiß nicht über die Entfaltung des christ-
lichen Glaubens in der Kirche hinwegsetzen, aber er hat doch in erster
•Linie die persönliche Überzeugung der Gemeinde in der Gegenwart
in seiner Kunst zum Ausdruck zu bringen. So hat es auch Bach mit
seiner Thomasgemeinde gehalten; der Gedanke, sich seine Kirchen-
musik aus einer um 200 Jahre zurückliegenden Zeit zu holen, wäre
ihm überhaupt unfaßbar gewesen. Gewiß lebt seine Musik noch heute
unter uns, aber als eine religiöse Kunst, die uns durch die Größe der
darin beschlossenen Persönlichkeit in die Vergangenheit zurückzwingt,
und was sich unter seinem Zeichen heute in den Kirchen zusammen-
findet, ist ein religiös, oft auch nur ästhetisch gestimmtes modernes
Publikum, aber alles eher als eine kirchliche Gemeinde. Was der heu-
tigen Kirche nottut, ist ein neuer Bach, der ihren modernen Bedürf-
nissen genügt, der alte hat weder die Aufgabe, noch die Fähigkeit
dazu. Denn um an ein Wort Luthers anzuknüpfen, es erzeugt nicht
eine gute Kirchenmusik einen lebendigen kirchlichen Sinn, sondern ein
lebendiger kirchlicher Sinn erzeugt eine gute Kirchenmusik.
Was endlich die moderne Zeit anlangt, so erscheint mir aliein schon
das viele Debattieren über das Wesen der echten Kirchenmusik ver-
dächtig. Ästhetisierende Spekulation muß dabei nur allzuoft das man-
gelnde innere Erlebnis ersetzen, und so laufen wir häufg Gefahr, von
derlei Dingen zu reden wie der Blinde von der Farbe. Vor allem scheint
mir das Problem am falschen Orte angefaßt zu sein, wenn man ihm
allein von der musikalisch-stilistischen Seite beizukommen versucht.
Denn die Voraussetzung jeder echten Kirchenmusik ist eine echte
Kirche, nicht eine offiziell anerkannte Staatskirche, sondern, um das
alte Wort zu gebrauchen, eine Kirche im Sinne der Gemeinschaft der
Heiligen, die die Kraft hat, alle ihre Glieder in Glauben und Gottes-
dienst sich als ein lebendiges Ganzes zu verpflichten. Ihr wird, wie
die Geschichte lehrt, stets eine Musik beschieden sein, die in ihrem
Dienste gleichfalls die Fähigkeit hat, jenes gemeinsame Leben zu wecken
und zu fördern; ja, sie wird darin gerade ihre höchste Aufgabe er-
blicken. Damit wird dann auch stets Gemeinverständlichkeit, veredelt
durch hohe Kunst, das Hauptmerkmal der Kirchenmusik sein, freilich
nicht im Sinne dessen, was eine einzelne Periode, sondern dessen, was
immer und überall als volkstümlich gilt, d. h. im Sinne einer Gemein-
schaft bildenden Kunst. Es ist ganz natürlich, daß die Vokalmusik da-
bei den geschichtlichen Vortritt hatte, es ist aber ebenso natürlich, daß
heutzutage die Instrumentalmusik aus der Kirche einfach nicht mehr
ausgeschlossen werden kann.
Mit der Abwendung der Musikübung vom Überpersönlichen ins
Persönliche und schließlich ins Unpersönliche treten Geistlich und