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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: Zweiter Kongreß für Ästhethik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin, 16.-18. Oktober 1924 — 19.1925

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Schünemann, Georg: Beziehungen neuer Musik zu exotischer und frühmittelalterlicher Tonkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3819#0419

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412- - • GEORG SCHÜNEMANN.

auf frühere Zeiten und Stile zurück, suchen eigene Gedanken in älteren'
wiederzufinden, erweitern den Umblick durch die Beschäftigung mit
der Musik außereuropäischer Völker und schaffen aus dieser Wertung
an der Gestaltung einer eigenkräftigen Kunst.

Vom frühesten Mittelalter an hat die deutsche Musik Eigenheiten
fremder Kulturen aufgenommen; stets haben die Musiker gern er-
griffen, was sie an Neuem und Charakteristischem aus fernen Landen
hörten. Die vielen Tanzstücke wie die ungarischen und Polonaisen
in Lautenbüchern und Suiten, die Moreschen (Mohrentänze) in den
frühesten Intermedien und Opern, die Chineserien der Lully- und
Couperinzeit — sie alle rechnen mit der Freude am Ungewohnten in
Klang und Rhythmus. Nicht immer treffen die Musiker das Neue und
Eigene so scharf wie in den ungarischen und polnischen Sätzen.
Meist muß der Wille zum Fremdartigen fehlende Anschauung und
Vorstellung ersetzen. Das Exotische gerät in völlig deutsche Umbil-
dung. Noch Gluck und Mozart begnügen sich mit stark aufge-
tragenem Schlagzeug, um ihre Melodien zu türkisieren. Doch der Reiz
nach fernen Landen läßt immer intensiver dem wahren Charakter fremd-
ländischer Musik nachsinnen. Herder sammelt Volkslieder aus allen
Ländern, und auch Friedrich Baumstarks und Waldbrühls (Zuc-
cajmaglios) »Bardale« (1829) bringt chinesische, persische, andalusi-
sche, neugriechische und andere Lieder, die allerdings recht heimisch
anmuten. Überhaupt geht die Romantik mehr noch als die Klassik
diesen Problemen nach. Von Schubert, Weber und Mendelssohn
bis zu Liszts Improvisationen musizierender Zigeuner und Mahlers
»Lied von der Erde« reicht eine große und weite Reihe von Werken,
die Eigenheiten fremder Musikkulturen festhalten wollen. Alle diese
Versuche glücken in der Aneignung naheliegender Ausdrucksmanieren,
wie die ungarischen, schottischen oder polnischen Weisen und Tänze,
aber schon bei den Zigeunern werden oft nur äußere Momente fest-
gehalten, ganz zu schweigen von den chinesischen und ägyptischen^
Serenaden. Erst die zunehmende Kolonialarbeit und die Gelegenheit,
außereuropäische Musik an phonographischen Aufnahmen und genauen
Notierungen zu studieren, schaffen tiefere Einsicht und führen die Be-,
wegung in Bahnen, die unmittelbar auf die Gestaltung und den Stil
neuer Musik einwirken. ,

Es ist kein Zufall, daß die frühesten Beispiele einer bewußten An-
wendung originaler exotischer Weisen mit dem französischen Im-^
pressionismus zusammenfallen. Die französische Kolonialarbeit weckte
das Interesse für ferne Kulturen. Neben der bildenden Kunst und der
Negerplastik war es vor allem die Musik, die dem Streben nach un-
gewohnten Ausdrucksmitteln weit entgegenkam. Saint-Saens ver-
 
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