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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: Zweiter Kongreß für Ästhethik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin, 16.-18. Oktober 1924 — 19.1925

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Schünemann, Georg: Beziehungen neuer Musik zu exotischer und frühmittelalterlicher Tonkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3819#0426

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BEZIEHUNG. NEUER MUSIK ZU EXOTISCH. U. FRÜHMITTELALTERL. TONK. 419

noch nicht übersehen läßt, — werden doch bereits Blasinstrumente im
Vierteltonsystem gebaut — ist unlöslich mit dem Studium exotischer
Musik und der Sehnsucht nach neuen Ausdrucksmitteln verknüpft.

Vierteltöne begegnen bereits im Mittelalter. Sie werden zwischen
Halbtönen eingeschaltet und erhalten im Codex Montpellier und anderen
Handschriften besondere Tonzeichen. Vom Orient sind sie in den
Gregorianischen Choral übernommen worden und haben sich bis zum
Durchdringen der Liniennotation gehalten. Heute kommen sie noch im
arabischen Tonsystem und in exotischer Musik vor. Auch Dreiviertel-
töne und andere Tonteilungen sind aus außereuropäischer Volkskunst
bekannt. Es scheint, als ob diese Anregungen eine tiefergreifende
Wirkung auszulösen imstande sind. Führen doch theoretische Mög-
lichkeiten in ein Neuland der Musik; selbst der Traum Busonis, die
unendliche Abstufung des Oktavenraumes zu erreichen, eine Musik zu
hören, die, der »Linie des Regenbogens« folgend, alle im Weltenraum
klingenden Übergänge darstellen könnte, scheint seiner Verwirklichung
nahe. Die musikwissenschaftliche Arbeit hat hier den Schaffenden
Wege gewiesen.

Berühren sich in allen Fragen, die ich streifte, iProbleme der alten
Kunst und der Musik außereuropäischer Völker mit Ideen der Gegen-
wart, so auch im eigentlichen Formproblem. Die neue Musik hat
mit der Technik und Form der älteren Sonate gebrochen, sie greift
auf alte Formen zurück, auf Toccata und Fuge, Passacaglia, Chaconne
und Concerto grosso. Der Begriff der thematischen Arbeit weicht dem
Gesetz der melodischen Bewegungszüge, die der eigenen Triebkraft
gehorchen. Aus ihnen gestaltet Schönberg in seinen letzten Werken
»die Technik der Komposition mit zwölf Tönen«. Dem Stück legt er
eine Folge von Tönen zugrunde, die als »Grundgestalt« festgehalten
und durch Umkehrung, Kanon usw. verändert wird. An die Stelle
des Motivs oder Themas tritt eine Tonfolge, die sowohl horizontal
wie vertikal verwertet werden kann.

Schönberg, op. 23.
 
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