440 GEORG ANSCHÜTZ.
men, endlich konventionelle Theorie im Sinne eines vorliegenden Ma-
terials auf die Stilbildung ein. Für andere Künste gilt das Analoge.
In diesem Sinne bleiben insbesondere Zeit- und Raumkünste relativ
unvergleichbar.
Zieht man jedoch den Personalstil heran, so ist es schon wahr-
scheinlich, daß sich zwischen dem Stil eines Komponisten und eines
Malers, Plastikers, Architekten, Dichters Entsprechungen finden lassen
(Zimmermann, »Beethoven und Klinger«). Sie sind nicht nur in zeitlicher
Koinzidenz zu suchen, sondern entsprechend den verschiedenen Ent-
wicklungen und Reifestadien der Künste auch dann, wenn die zu ver-
gleichenden Kunstwerke verschiedenen Kulturepochen angehören.
Zeit-, Material- und Personalstil werden aber solange ihrem Gehalt
nach nicht ausgeschöpft, als wir in den Künsten, besonders in der Musik,
das Technische in seiner äußeren Form als entscheidend ansehen. Mag
der Händeische Stil als Barock, der Mozartsche als Rokoko, derjenige
Webers, Schuberts, Chopins, Schumanns, Wagners als Romantik im
Sinne größerer Formenfreiheit, als »Alterationsstil« (Kurth, Romantische
Harmonik) angesprochen werden, so kann ein volles Verstehen des
musikalischen Stiles erst durch Eindringen in die Struktur der musi-
kalischen Werke vermittelt werden. Hinter dem Formalen der Technik
ist nach dem Inhalt zu suchen, nach dem, was die Harmonik simultan
und in Sukzession, was die Linienführung und Melodik, die Metrik
und Rhythmik bedeuten. Es finden sich diesbezügliche Ansätze bei
Riemann, Schering, Grunsky, Halm, Mersmann, Kurth, Jacoby u. a.,
indem versucht wird, das musikalische Kunstwerk, wenn auch zu-
nächst noch in schematischer Weise, aus den Erscheinungen der Span-
nung und Entspannung zu verstehen.
Betrachtet man unsere Musik etwa im Hinblick auf ihren harmoni-
schen Aufbau, so überwiegt in der frühen Klassik das Verhältnis von
Ober- und Unterdominante; für Beethoven ist schon die harmonische
Verwandtschaft der großen und kleinen Terz im Aufstieg (Spannung)
und Abfall (Entspannung) charakteristisch (typisch z. B. im ersten Satz der
Pastoralsymphonie). Die Romantik treibt dieses Prinzip bis zur Grenze
der in unserer temperierten Stimmung möglichen Schritte, z. B. zum
harmonischen Tritonus (Wagner im zweiten Tristanakt bei Brangänes
Worten »kaum ihrer mächtig«, Götterdämmerung: Siegfrieds Rhein-
fahrt, wo das Rheinwellenmotiv in A-Dur auftritt und schroff nach
Es-Dur abfällt, Wanderermotiv aus dem Siegfried und andere Stellen).
Bedeutet der erste Fall (frühe Klassik) leichte Spannung und Pendeln
um einen festen Punkt, also geringere Gegensätzlichkeit im harmoni-
schen Stil, so liegt im dritten (Romantik) das Gegenteil, Verwendung
von stärksten Spannungen, Gegensätzlichkeit und vielfaches Aufgeben
men, endlich konventionelle Theorie im Sinne eines vorliegenden Ma-
terials auf die Stilbildung ein. Für andere Künste gilt das Analoge.
In diesem Sinne bleiben insbesondere Zeit- und Raumkünste relativ
unvergleichbar.
Zieht man jedoch den Personalstil heran, so ist es schon wahr-
scheinlich, daß sich zwischen dem Stil eines Komponisten und eines
Malers, Plastikers, Architekten, Dichters Entsprechungen finden lassen
(Zimmermann, »Beethoven und Klinger«). Sie sind nicht nur in zeitlicher
Koinzidenz zu suchen, sondern entsprechend den verschiedenen Ent-
wicklungen und Reifestadien der Künste auch dann, wenn die zu ver-
gleichenden Kunstwerke verschiedenen Kulturepochen angehören.
Zeit-, Material- und Personalstil werden aber solange ihrem Gehalt
nach nicht ausgeschöpft, als wir in den Künsten, besonders in der Musik,
das Technische in seiner äußeren Form als entscheidend ansehen. Mag
der Händeische Stil als Barock, der Mozartsche als Rokoko, derjenige
Webers, Schuberts, Chopins, Schumanns, Wagners als Romantik im
Sinne größerer Formenfreiheit, als »Alterationsstil« (Kurth, Romantische
Harmonik) angesprochen werden, so kann ein volles Verstehen des
musikalischen Stiles erst durch Eindringen in die Struktur der musi-
kalischen Werke vermittelt werden. Hinter dem Formalen der Technik
ist nach dem Inhalt zu suchen, nach dem, was die Harmonik simultan
und in Sukzession, was die Linienführung und Melodik, die Metrik
und Rhythmik bedeuten. Es finden sich diesbezügliche Ansätze bei
Riemann, Schering, Grunsky, Halm, Mersmann, Kurth, Jacoby u. a.,
indem versucht wird, das musikalische Kunstwerk, wenn auch zu-
nächst noch in schematischer Weise, aus den Erscheinungen der Span-
nung und Entspannung zu verstehen.
Betrachtet man unsere Musik etwa im Hinblick auf ihren harmoni-
schen Aufbau, so überwiegt in der frühen Klassik das Verhältnis von
Ober- und Unterdominante; für Beethoven ist schon die harmonische
Verwandtschaft der großen und kleinen Terz im Aufstieg (Spannung)
und Abfall (Entspannung) charakteristisch (typisch z. B. im ersten Satz der
Pastoralsymphonie). Die Romantik treibt dieses Prinzip bis zur Grenze
der in unserer temperierten Stimmung möglichen Schritte, z. B. zum
harmonischen Tritonus (Wagner im zweiten Tristanakt bei Brangänes
Worten »kaum ihrer mächtig«, Götterdämmerung: Siegfrieds Rhein-
fahrt, wo das Rheinwellenmotiv in A-Dur auftritt und schroff nach
Es-Dur abfällt, Wanderermotiv aus dem Siegfried und andere Stellen).
Bedeutet der erste Fall (frühe Klassik) leichte Spannung und Pendeln
um einen festen Punkt, also geringere Gegensätzlichkeit im harmoni-
schen Stil, so liegt im dritten (Romantik) das Gegenteil, Verwendung
von stärksten Spannungen, Gegensätzlichkeit und vielfaches Aufgeben