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Zeitschrift für christliche Kunst — 10.1897

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Rieffel, Franz: Grünewald-Studien, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3832#0101

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1897 — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 5.

144

daselbst22) (ganz grünewaldische Technik: der
nervös zuckende Parallelstrich) und einige andere
Holzschnitte im beschlossenen Gart. Ich will
damit diese schwierigen aber nicht unwichtigen
Fragen nur gestellt, aber nicht erledigt haben.
Gerade hier darf nicht vergessen werden, dafs
der Zeitpunkt der Buchausgabe nicht auch der
Zeitpunkt der Entstehung der Zeichnung zum
Holzschnitt ist; z. B. sind die Zeichnungen zum
Brigittenbuch gewifs vor den Dresdener Ge-
mälden entstanden und auch die des beschlosse-
nen gart und des Speculum Passionis datiren
aus früherer Zeit als 1505 oder 1507.

Mindere Bedenken macht mir der hinsicht-
lich der Technik bereits berührte schöne Einzel-
holzschnitt mit dem hl. Sebastian.23) Ich hatte
auch ihn früher dem Kulmbach zugeschrieben,24)
während Schmidt an Schäuffelein denkt. Auch
hier ist Schmidt in besserem Recht als ich war.
Aber dennoch glaube ich mit der Taufe auf
Grünewald der Wahrheit noch näher zu rücken.
Der verständnifsvoll und eingehend modellirte
Leib des Sebastian, Hand-, Ohr-, Knie- und
Fufsform, die charakteristische Baumwurzel und
die wilde „geistreiche Manier" (Schmidt »B.ep.
f. K.« XV S. 234) der Zeichnung — wenigstens
der Modellirung des Oberkörpers — bestimmen
mich besonders zu der Namensgebung. Jeden-
falls kann meines Dafürhaltens Schäuffelein
nicht in Betracht kommen. Seine mangel-
hafte Kenntnifs und seine geringe Fähigkeit
zur Darstellung des Nackten ergeben schon
die oberflächlich schlauchartig modellirten Körper
auf seinen frühen Holzschnitten im beschlossenen
gart von 1505 und im Speculum Passionis von
1507. Der hl. Sebastian mufs, wenn er von
Grünewald herrührt, sich zeitlich eng an die
Dresdener Bilder anschliefsen.

Versuchen wir im Uebrigen eine chrono-
logische Aufzählung und sehen dabei von den
Darmstädter Bildern, sowie von den vorhin
besprochenen Holzschnitten, bei denen Grüne-
walds Autorschaft vorerst nur sehr wahrscheinlich
ist, ab, so würde etwa folgende Reihe entstehen:

2i) W. Schmidt »Rep. f. K.« XIX S. 118:
„Baidung".

-3) Abb. bei Hirth-Muther »Meisterholzschnittc
aus 4 Jahrhunderten« Nr. 52; vergl. W. Schmidt
»Rep. f. K.« XV S. 233, XVI S. 308.

•-M) »Rep. f. K.« XV S. 69.

1. Todesbild in Hannover,

2. Todesbild in Dresden,

3. Holzschnitt der Marter der Zehntausend,

4. Judithzeichnung in Dresden,

5. Todesbild in Wien,

6. Todesbild in Frankfurt,

7. Verkündigung Maria in Berlin.

Diesen frühen Werken des Grünewald liefse
sich vielleicht noch ein fälschlich unter Dürers
Namen gehender Kupferstich, der Tod oder der
gewaltsame Greis (B 92) einfügen. Er rührt
von einer in der Führung des Stichels unge-
wandten Hand her. Ihn Dürer, der schon in
seinen frühesten Stichen so grofses technisches
Geschick entwickelt, aufzuhalsen, berechtigt
nichts. Dagegen deuten Gesichtstypen und
Körperformen, sowie die Anordnung und Er-
zählungsweise auf die rheinische, besonders
Strafsburger Schule im Allgemeinen, auf Grüne-
wald in specie hin.

Wenn ich mich darin nicht irre, dafs Grüne-
wald sich eine Zeit lang in Nürnberg, vielleicht
sogar in Dürers Werkstätte aufgehalten hat, so
braucht es doch nicht seltsam zu scheinen,
dafs Dürer ihn mit keiner Silbe erwähnt. Er
hat überhaupt in seinen Aufzeichnungen wenig
Veranlassung von seinen Gesellen zu reden
und spricht wohl nur von Schäuffelein, Hans
Baidung und Penz. Seltsamer ist es schon,
dafs der Maler, der in dem Typus seiner Werke
so gewaltig von den Kunstgenossen seiner Zeit
absticht, der von dem gröfsten deutschen
Mäzen der Zeit, Albrecht von Brandenburg,
mit so hervorragenden Aufträgen betraut wurde,
durchs Leben geht, ohne dafs eine zeitge-
nössische Feder von ihm Notiz nimmt. Die An-
nahme, dafs alle zeitgenössischen Aufzeichnungen
über ihn verloren gegangen seien, ist ein ge-
ringer Trost. Hat der melancholische Mann
sich so ganz von seinen Mitlebenden zurück-
gezogen? Oder liegen da andere intimere That-
sachen zu Grund? Unter den wenigen Malen,
die er sich bezeichnet hat, kommt zweimal
neben seinem Monogramm der Buchstabe N
vor. Deutet es auf seinen Geburtsort (Aschaffen-
burg mufs es ja nicht nothwendig sein)? Rühmte
er sich damit etwa seines Schulaufenthaltes in
Nürnberg? Oder was heifst es sonst? (Schh.fs folgt.)

Wehen. Kranz Kieffel.
 
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