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Zeitschrift für christliche Kunst — 10.1897

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Rieffel, Franz: Grünewald-Studien, [1]
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Tepe, Alfred: Säulen und Weiträumigkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.3832#0035

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39

1897. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST - Nr. 2.

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Christusleichnams mit grünlichen Schatten und
grauen Halbschatten. Auch die den Leib über-
rieselnden Blutstropfen sind malerisch wirkungs-
voll ausgenutzt. Die Farbenstimmung ist ruhig
und ausgeglichen gegenüber dem engeren
dürerischen Kreis, hat nicht das jenem oft
eigene gleifsende und blinkende Email und
modulirt im Ganzen mehr nach Moll als nach Dur.

Sieht man von der Formenbildung und dem
Kolorit ab und vergleicht den Stil (im engern
Sinn) des Meisters mit dem Dürers, so gewinnt
man folgende Unterscheidungspunkte: Bei Dürer
eine grofse Zahl von Handelnden und reiche
Komparserie, in Folge davon eine in der Be-
wegung sich beengende Fülle von Figuren,
dramatisches Pathos und eine gewisse Rhetorik
des Vortrags; eingehend detaillirte Landschaft.
Hier sorgfältige Beschränkung auf wenige Dra-
matis Personae und beinahe völliges Fehlen der
Tritagonisten und des Chors; starke aber sehr
gebundene Empfindung; von landschaftlicher
Szenerie nur das unentbehrliche.

In Summa ergibt sich also, dafs man den
Künstler nicht so sehr nah an Dürer heran-

rücken darf. Was der Schüler am ehesten vom
Lehrer lernt, Komposition, Landschaft, Ge-
sichtstypen, Farbentechnik, das weicht von
Dürer ab, endlich auch die Farbenstimmung,
die Dürers etwas kräftiger Dynamik gegenüber,
wie durch Sordinen gedämpft erscheint.

Wenn ich auf die Frage nach dem Meister
die Antwort gebe, dafs mir die Bilder Jugend-
arbeiten des Mathias Grünewald zu sein scheinen,
so mag das schier vermessen erscheinen. Denn
wir kennen Grünewald nur in wenigen sicheren
Werken, sämmtlich Arbeiten seiner Mannes-
jahre und er erscheint auf den ersten Blick dort
so ganz anders als hier. Allein auch er hat
wohl nicht als der Meister von ausgesprochen
koloristischer Tendenz begonnen, als der er
sich in den Werken zeigt, die für unsere jetzige
Kenntnifs sein künstlerisches Charakterbild um-
schreiben. Es müssen sich doch irgendwo die
Fäden aufweisen lassen, die ihn mit der übrigen
zeitgenössischen Kunst verknüpfen. Versuchen
wiresalso, den authentischen mit diesem dubiosen
Grünewald zu vergleichen. (Forts, folgt)

Wehen. Franz Rieffei.

Säulen und Weiträumigkeit.

Mit 4 Abbildungen der neuen Pfarrkirche zu Heeten.

rofessor Schaepman läfst in seiner
Aya Sofia die Säulen einen Hymnus
anstimmen zu Ehren des Aller-
höchsten — freilich sind diese
Säulen kostbarster Art und haben aufserdem

ihre Geschichte aufzuweisen, indem sie alten
heidnischen Tempeln entstammen. Acht von
Porphyr aus dem Sonnentempel des Cäsar
Aurelianus zu Rom preisen ihr Geschick, dafs
sie nunmehr der wahren Lebenssonne zu Ehren
und Diensten ragen und tragen dürfen; acht
andere von grünem thessalischem Granit, die,
wie man sagte, von dem berühmten Tempel
der Diana herrührten, hatte der Prätor Con-
stantinus aus Ephesus gesandt, — sie jubeln,
dafs sie den kühlen bleichen Glanz der Göttin
mit dem ewigen unvergänglichen Licht des
Gottessohnes vertauscht haben; gar viele Säulen,
bei deren Gewinnung in den Bergwerken ver-
urtheilte Bekenner thätig waren, preisen den
Opfermuth, durch Glaube, Hoffnung und Liebe
der geadelten Seele verliehen. Der Gesammt-
chor schliefst mit den folgenden Strophen:

Einst mufsten wir der Tempel Zinnen tragen,
Dem Götzenkult geweiht;
Jetzt dürfen wir zu Deiner Ehre ragen,
O Herr der Ewigkeit!

Alleluja, o Weisheit, allen Dingen
Mit hehrer Gnade nah;
In allen Kreisen mufs Dein Lob erklingen,
Die Säulen singen
Alleluja!

Kein Wunder, dafs eine so ganz besondere
und distinguirte Säulengesellschaft die Dichter-
phantasie anregen und entflammen konnte.
Aber auch ohne blendende Kostbarkeit oder
historische Vergangenheit üben schlanke Säulen
und kräftige Pfeiler auf das empfängliche Ge-
müth einen eigenen Zauber aus. Da stehen
sie, individuell ausgeprägt, als Vorbilder männ-
licher Selbständigkeit, auf festen Sockeln fufsend,
mit reichgeschmückten Häuptern gekrönt, die
mächtigen Träger ragender Kuppeln und kühn-
gespannter Gewölbe oder wuchtiger Architrave.

Die harmonisch durchgebildeten Säulen-
ordnungen der griechischen Tempel waren das
Entzücken aller Zeiten und Nationen. Neben
 
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