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Zeitschrift für christliche Kunst — 10.1897

DOI Artikel:
Firmenich-Richartz, Eduard: Hugo van der Goes: eine Studie zur Geschichte der altvlämischen Malerschule, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3832#0154

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Abhandlungen.

Hugo van der Goes.

Eine Studie zur Geschichte der
altvlämischen Malerschule.

I.

Mit Lichtdruck (Tafel VI).')

dem kleinen Museum des Arci-
pedale Santa Maria Nuova zu Flo-
renz, das man
, alsbald er-
reicht, wenn
man die gewaltige Dom-
kuppel des Filippo Bru-
nelleschi umschatten hat, befindet
sich neben vortrefflichen Werken
toskanischer Meister die Schöpfung
eines nordischenQuattrocentisten, die uns in dieser
Umgebung fast wie ein lauter Protest gegen die
schönheiterfüllte, schimmernde Welt des Südens
berührt. Der principielle Gegensatz, welcher
die vlämische Malerei von italienischer Kunst
scheidet, wird wohl kaum jemals so stark em-
pfunden, als wenn sich der Blick von Sandro
Botticelli's zarter Madonna und den würdevollen
mächtigen Heiligengestalten des Fra Bartolomeo
auf dem Freskobilde des jüngsten Gerichtes hin-
überwendet zu den eckigen, mageren Figuren,
die dichtgedrängt, fast in Lebensgröfse das
Triptychon des Hugo van der Goes erfüllen.2)

') Die Erläuterungen zu der beigefügten Darstellung
„Annaselbdritt mit verehrendem Stifter" folgen im
II. Abschnitt dieser Studie.

'-) Museo Santa Maria Nuova Nr. 48—50. Eichen-
holz. Mittelbild h. 2,50 m, br. 3,04 m, Flügel h. 2,50 m,
br. 1,40 in. — Photographien von G. Brogi und Fratelli
Alinari. Stiche bei Foerster »Denkmale« XI. —Auto-
typien: Klass. Bilderschatz Nr. 151, 1022, 1027. Spe-
mann's Museum Nr. 67. — Neuerdings besteht der
Plan, die besten Stücke der Hospitals-Sammlung den
Kgl. Gallerten in Florenz einzuverleiben.

Litteratur: Descamps »Les Vies des peintres«
(184M) I, S. 5. Passavant „Beiträge zur Kenntnifs
der altniederländ. Malerschulen", »KunstblatU (1841)
Nr. 5. Immerzeel »De Levens en Werken der
Hollandsche en Vlaamsche Kunstschilders» (Amster-
dam 1842) I, S. 62. Rathgeber »Annalen der
niederländ. Malerei« (1842) S. 117 ff. Waagen im
»Kunstblatt« (1847) Nr. 51. Nagler »Monogram-
misten« III, 986. Waagen »Handbuch der deutschen
und niederländ. Malerei« (1862) I, S. 111 ff. Kugler

Der Gegenstand seiner Darstellung an sich, ein
„Presepio" zwischen Heiligen und Stiftern bot
den italienischen Malern nichts Aufsergewöhn-
liches, welche mit scheuem Staunen diese Arbeit
des wunderlichen Nordländers betrachteten, der
hier völlig unberührt von all' ihren Kunsttra-
ditionen selbstständig der Natur gegenübertrat.

Durch die Kontrastwirkung erscheint der
individuelle Ausdruck in diesen Köpfen noch
gesteigert; in der Fremde umfängt uns die
schlichte Welt germanischen Gemüthslebens.

Eine reiche Künstlerphantasie, ganz erfüllt
von dem Gehalt der heiligen Geschichte, wendet
sich unmittelbar an unser seelisches Empfinden.
Mit dem Wunder der Menschwerdung des Er-
lösers und seiner Geburt aus der Jungfrau soll
uns dies Bild vertraut machen.

Die greifbare Wirklichkeit der Gestalten bei
dem überirdischen Vorgang mufs darauf hin-
wirken, uns wie durch Intuition von einer höheren
Wahrheit zu überzeugen. Das Niegesehene wird
wahrscheinlich inmitten einer Sphäre, die dem Be-
trachter wohlbekannt ist. Aesthetisches Wohlge-
fallen durch Liebreiz und Anmuth seiner Figuren
zu erregen, trachtete der Meister erst in zweiter
Linie, doch lag es ihm am Herzen, für alle
Einzelzüge seiner scharfsinnigen Naturnach-
ahmung und die gediegene Sorgfalt seiner Arbeit
intimes Verständnifs zu finden.

Er strebt danach, innere Wahrheit mit äufserer
Naturtreue zu verbinden; aber seine Kenntnifs

»Geschichte der Malerei« (1867) II, S. 382. Alfred
Michiels »Histoire de la Peinture flamande (1866)
III, S. 336 ff. A. Wauters »Biographie nationale de
Belgique« VIII, S. 27 ff. A. Wauters »Hugues van
der Goes, sa vie et ses oeuvres« (Bruxelles 1872).
Crowe-Cavalcaselle »Geschichte der altniederländ.
Malerei« (deutsche Ausgabe von A. Springer) (1875),
S. 165 ff. Schnaase »Geschichte der bild. Künste«
(1876) VIII, S.205. Eisenmann in Dohme's »Kunst
und Künstler« (1876) I, Nr. 12 S. 6 ff. A. J. Wauters
»Histoire de la Peinture flamande« (1883) S. 60.
Woltmann-Woermann »Geschichte der Malerei«
(1882) II, S. 27 ff. Burckhardt-Bode »Der Ci-
cerone« II, S. 648. Emile Michel in der »Gazelle
des beaux arts« (1896) XV, S. 301, mit Radirung
nach dem rechten Flügelgemälde von J. Payrau. Geis.
p ach „Les lableaux de H. v. d. G. ä Florence", »Revue
de l'art chrelien« (1896) S. 258 ff. mit Abbildungen.
 
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