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Zeitschrift für christliche Kunst — 10.1897

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Keppler, Paul Wilhelm von: Gedanken über die moderne Malerei: Dritte Folge, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3832#0175

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259

1897. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTUCHE KUNST — Nr. 9.

260

Gedanken über die moderne Malerei.
Dritte Folge.

I.
a, sie ist eine recht stolze Dame
geworden, die moderne Malerei.
Das brachte die diesjährige grofse
internationale Ausstellung in Mün-
chen, wie die in Dresden aufs Neue zum
Bewufstsein. Ihre beiden Schwestern, Plastik
und Architektur scheinen durch sie völlig in
Schatten gestellt; nur die Plastik partizipirt in-
soweit etwas an ihrer Glorie, als sie malerische
Tendenzen in sich aufgenommen. Die Archi-
tektur, einst unbestritten die Königin der bil-
denden Künste, — welch' demüthiger Lebens-
gang ist ihr in der Gegenwart beschieden! Als
in unseren Zeiten die Barock- und Zopfkunst
der letzten Jahrhunderte wieder entdeckt wurde,
d. h. als man zur Erkenntnifs kam, dafs auch
diese lange von oben herab verachtete Periode
trotz grofser innerer Schwächen und Mängel
eben doch noch eine wirkliche Kunstperiode
gewesen sei und namentlich Eines noch gehabt
habe, was unserer Zeit ganz fehlt: einen eigent-
lichen und eigenen Kunststil, da erwuchs aus
dieser Erkenntnifs eine weitere tiefe Verdemüthi-
gung, welche sich der Architektur so sehr ins
Gemüth schlug, dafs wohl für die nächste Zu-
kunft ihr jede Versuchung zu Uebermuth und
Selbstüberschätzung fern liegen dürfte. Wie ganz
anders die Malerei! Stolz schaut sie zurück auf
die weit hinter ihr gebliebenen Schwestern, und
die Brust von stärkstem Original itätsbewufstsein
geschwellt scheint sie fast allein inmitten der
allgemeinen Decadence des altersmüde gewor-
denen Jahrhunderts unaufhaltsam von Triumph
zu Triumph fortzueilen. Wie Siegesfanfaren
klang es in diesem Sommer von den Wänden
des Glaspalastes und den Mauern Münchens
und aus den Ausstellungsberichten der Presse:
nun sei der Triumph der neuen Kunst über
die alte und der Anbruch einer neuen Periode
der Malerei fertige Thatsache, an der niemand
mehr zweifeln könne.

Für uns sind diese Fanfarenklänge zunächst
nur ein Mahnsignal, diesmal doppelt aufmerk-
sam und kritisch zu prüfen und in aller Ruhe
zu untersuchen, ob und wieweit wir in den
letzten Jahren vorwärts gekommen. Wenn wir
zum dritten Mal1) das Ergebnifs unserer Beob-
l) Siehe Jahrg. 1892 Sp. 178 ff. u. 1895 Sp. 17 ff.

achtungen an dieser Stelle zu veröffentlichen
wagen, so hat dafür der verehrte Redakteur
dieser Zeitschrift allein die Verantwortung zu
übernehmen, denn er ist es, der uns dringend
darum ersuchte. —

Die heurige Münchener Ausstellung zeigte
ein wesentlich anderes Gesicht als ihre Vor-
gängerinnen. In dreifacher Hinsicht anders:
einmal verdiente sie voll den Namen inter-
national, denn alle Reiche Europas und auch
Amerika waren quantitativ und qualitativ be-
deutend vertreten; sodann fanden sich erstmals
die drei theilweise feindlichen Brüder der Einen
deutschen und Münchener Kunstfamilie unter
Einem Dache vereinigt; endlich war diesem
reichen Gesammtbild moderner Kunst eine von
Lenbach arrangirte Retrospektive beigegeben,
welche wenigstens in einigen Etappen und an
einigen grofsen Namen den Entwicklungsgang
demonstriren sollte, auf welchem die moderne
Kunst sich herausbildete. Doch ist diese Retro-
spektive zu unvollständig und unsystematisch
ausgefallen, als dafs wir sie zum Ausgangspunkt
unserer Betrachtung nehmen möchten; wir werden
sie bei der Landschaft gelegentlich streifen.
Auch die Reihenfolge der vertretenen Nationen
wird nicht unser Orientirungsprinzip sein; denn
die Hauptbestrebungen und Hauptcharaktermale
heutiger Malerei sind ziemlich international, —
namentlich in Folge des in der Künstlerwelt
herrschenden Nachahmungstriebes, welcher allem
Neuen, von welcher Nation es kommen möge,
nur zu rasch sich erschliefst, je grundsätzlicher
er allem Alten sich verschliefst. Endlich wer-
den wir auch nicht wie viele andere den drei
Gruppen der Deutschen und Münchener Aus-
stellung: der Künstler-Genossenschaft, der Luit-
poldgruppe und der Sezession, je eine geson-
derte Betrachtung widmen; denn wir können
die Unterschiede zwischen denselben nicht so
charakteristisch finden, dafs man an ihnen
wesentlich verschiedene Strömungen und Rich-
tungen demonstriren könnte.

Freilich, von mancher Seite wurden die drei
Gruppen scharf gegen einander ausgespielt und
ihr rivalisirendes Aufeinandertreffen in Einem
Räume geradezu als die Entscheidungsschlacht
im Kampfe um die neue Kunst bezeichnet.
Man bespöttelt die Angehörigen der Künstler-
 
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