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Zeitschrift für christliche Kunst — 10.1897

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Firmenich-Richartz, Eduard: Hugo van der Goes: eine Studie zur Geschichte der altvlämischen Malerschule, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3832#0159

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235

1897.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

236

von Jan van Eyck herrührte. Im Karmeliter-
klöster zu Gent befand sich ein grofses Altar-
werk mit ausgezeichneten Darstellungen aus dem
Leben der hl. Catharina, welche wahrscheinlich
der Jugendzeit des Malers entstammten.

Als dessen Meisterstück galt jedoch bei
Kennern wie Laien ein Wandbild in Oelfarben
über einem Kamin im Hause des Jacob Weytens
an der Muyderbrücke zu Gent. Es stellte die
Begegnung der klugen Abigail mit König David
dar. Der jugendliche Held erschien stattlich hoch
zu Rofs. Die Wittwe Nabal's, welche der Herr-
scher der Israeliten sich zur Gemahlin erwählte,
wie die begleitenden fünf Mägde, konnten nach
der Ansicht van Mander's wegen ihrer züch-
tigen Sittsamkeit und ehrbaren süfsen Wesens
allen Frauen und Mädchen als nachahmens-
werthes Beispiel empfohlen werden. Bei dieser
Gelegenheil wird uns auch verrathen, dafs dem
jungen Künstler „Cupido de Pinceelen heeft
helpen stieren in gheselschap van zijn Moeder
en de Gratien", denn Hugo van der Goes freite
die Tochter des Hauses, deren anmuthiges Bild-
nifs er auf dem Gemälde anbrachte. Lucas de
Heere hat das Wandbild wegen dieses Um-
standes als ein Weihgeschenk stiller Neigung
in einem Sonett gefeiert; Alfred Michiels findet
in dem rührenden Mifsgeschick einer unglück-
lichen Liebe den Beweggrund des Malers, der
Welt zu entsagen.22)

Ein anderes Hauptwerk, die Kreuzigung
Christi in der St. Jacobskirche zu Brügge ent-
ging zur Zeit der Reformation der Zerstörung,
indem man die Tafel mit schwarzer Farbe über-
tünchte und in goldenen Buchstaben den De-
kalog darauf verzeichnete.23) Schon Albrecht
Dürer hatte dies „köstliche Gemäl" bei seiner
Anwesenheit in Brügge im April 1521 als
Sehenswürdigkeit der Stadt aufgesucht, wie aus
einer Notiz des niederländischen Tagebuchs
hervorgeht.24) —

aa) »Buch der Königec I, c. 25, 42. — M. van
Vaernewyck a. a. O. pg. 120. Eine freie Copie
dieses Wandbildes blieb uns vielleicht in einer Tafel
der Sammlung Noväk in Prag erhalten. Theodor
von Frimmel »Chronique des arts« 1896, Nr. 17.

aa) Nach Sanderus (a. a. O. II, fol. 81) schmückte
die Tafel den Hochaltar, stellte aber die „Kreuzab -
nähme" dar. Ebenso Descampes »Voyage pittores-
que de la Flandre et du Brabant« S. 251. James
Weale »Bruges et ses environs« (18751 S. 149.

24) Lange-Fuhse »Dürer's schriftl. Nachlafsc
156, 14 A. „Darnach führten sie mich gen S.Jacob und

Ein weiteres Werk des Hugo van der Goes,
vielleicht eine Darstellung der sieben Sakra-
mente, zeigte man dem gefeierten Nürnberger
Maler im Palast des Statthalters von Holland,
Seeland und Friesland, Heinrich VIII. von
Nassau zu Brüssel.26) Bedauerlicher Weise ge-
denkt Dürer nur mit kurzem Vermerk dieser
Stücke; doch ist anzunehmen, dass die wuch-
tige Kraft und der Ernst der Charakteristik,
die aufserordentliche malerische Vollendung,
welche die Tafeln des Genter Meisters aus-
zeichnen, dem cohgenialen Naturell des grofsen
oberdeutschen Künstlers imponirte.

Die Feinheit und Schärfe der Linienzüge in
den Kompositionen des Hugo van der Goes
wurde auch in alter Zeit von Kennern ge-
würdigt. Wir besitzen hierfür ein gutes Zeugnifs
in einem Vers des poetischen Panegyricus, be-
titelt: „La Couronne Margueritique". In diesem
allegorischen Epos, das Jean le Maire bald nach
Beginn des XVI. Jahrhunderts zum Lob der
Statthalterin Margaretha von Oesterreich ver-
fafste, wird auch unseres Malers mit den Worten
gedacht: „. ... Hugues de Gand, qui tant
eut les tretz netz . . . ."20)

Wie einst sein Leben, hat ein tragisches Ge-
schick auch die reiche Fülle seiner Schöpfungen
verfolgt. Von allen jenen Stücken, welche die
Autoren preisen, steht nur ein einziges Werk
des Hugo van der Goes, der Portinari-Altar, uns
heute noch vor Augen. Aus der Betrachtung
der übel zugerichteten Tafeln in Santa Maria
Nuova schöpfen wir allein unsere Kenntnifs
seines eminenten Talentes. Vom Studium dieser
Gemälde mufste auch die stilkritische Unter-
suchung ihren Ausgang nehmen, um einige ver-
kannte Arbeiten des grofsen Meisters für ihn
zurückzugewinnen und das Bild seines Strebens
und Werdens wenigstens im Umrifs zu be-
stimmen. (Fortsetzung folgt.)
Bonn. Eduard Firmenich-Richartz.

Hessen mich sehen die köstlichen Gemäle von Rudiger
und Hugo, die sind beede grofss Meister gewest."

35) Ebenda 124, 12A. „Item als ich bin gewest
in des von Nassau Haus, do hab ich gesehen das
gut Gemäl in der Kapellen, das Meister Hugo gemacht
hat." — In Brüssel soll sich aufserdem in der Kirche
des Elisabeth-Conventes ein Altarwerk des Hugo van
der Goes mit der Verklärung und Auferstehung Christi
befunden haben. Wauters a. a. O. S. 26.

26) = traits nets. — La Couronne Margueritique
entstand um 1510. Das Gedicht wurde spät nach dem
Tode des Autors Jean le Maire aus Bavai 1549 zu
Lyon gedruckt.
 
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