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Zeitschrift für christliche Kunst — 10.1897

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Wormstall, Albert: Eine romanische Bronzeschüssel aus Westfalen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3832#0161

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239

1897.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

240

Eine romanische Bronzeschüssel aus Westfalen.

Mit 2 Abbildungen.

ür die Geschichte des Kunstgewerbes
der romanischen Periode und eben-
sosehr für die Kenntnifs der Han-
delsbeziehungen dieser Zeit ist von
grofser Bedeutsamkeit eine Klasse eng zu-
sammenhängender Bronzeschüsseln, als deren
weites Fundgebiet die ganze nördliche Hälfte
Europas gelten darf. Grempler hat das
Verdienst, in der Zeitschrift »Schlesiens Vor-
zeit in Bild und Schrift« Bd. V S. 271 ff. und
Bd. VI S. 137 f. jene unter Beifügung vieler
Abbildungen übersichtlich zusammengestellt,
beschrieben und wissenschaftlich gewürdigt zu
haben. Dort ist auch die Litteratur über ein-
zelne vorher bekannt gewordene Stücke zu
finden. Im vergangenen Jahre konnte ich eine
bis dahin unbekannte und zwei bisher kaum
beachtete Schüsseln dieser Art aus Westfalen
in der »Zeitschrift für vaterländische Geschichte
und Alterthumskunde Westfalens«, Bd. L1V
(1896) S. 57 ff., Taf. A, B, veröffentlichen.

Die gravirten Darstellungen dieser Schüsseln
stellen uns vor manches Räthsel und sind höchst
mannigfach: entartete Flügelfiguren mit höchst
verderbten Inschriften oder ohne solche, alle-
gorische Figuren der Tugenden und Laster,
Bilder aus dem Kreise des alten und neuen
Testamentes, der Legende und der klassischen
Mythologie.

Ein ganz hervorragendes, in Privatbesitz be-
findliches Exemplar dieser Gattung wurde mir
kürzlich zugänglich gemacht. Es ist im Jahre 1854
auf dem Unterhofe des Hauses Horst bei Buer
im Kreis Recklinghausen (Westfalen) beim Aus-
werfen von Fundamenten zu einem neuen
Oekonomiegebäude gefunden. Die Fundstelle
lag dem Schlofsteiche sehr nahe; vielleicht stand
sie früher unter Wasser und landete später zu.
Die Schüssel lag nicht flach im Boden, sondern
stand auf dem Rande.

Die Bronze hat ein eigenartiges goldiges
Aussehen, wenngleich von Vergoldung, die man
sonst bei einzelnen Schalen dieser Klasse fest-
gestellt haben will, sichere Spuren nicht nach-
zuweisen waren. Die Feststellung der Zusammen-
setzung der Bronze durch chemische Analyse
war leider nicht angänglich. Die Schüssel ist
wohl durch Aushämmern, nicht durch Gufs
entstanden.

Sie hat die Form eines mäfsig tiefen Napfes
mit abstehendem Rande und flachem Boden.
Der obere Durchmesser beträgt, den Rand ein-
gerechnet, ca. 32,5 cm; der Rand selbst ist
ca. 1 cm breit; die Tiefe mifst ca. 6 cm. Die
Dicke des Metalls hält sich durchwegs auf
ca. 2 mm, während sie an der Randlinie des
abstehenden Randes bis zu 0,5 cm anschwillt.

Am Rande links ist eine Beschädigung
modern geflickt.

Die Innenseite und den Rand bedecken
kräftig eingegrabene Gravirungen, die stellen-
weise durch Benutzung und Putzen abgeschwächt
sind. Im Mittelpunkte der Schüssel sitzt in
langem Gewände und Mantel die Figur der
Philosophie; sie hält in den Händen ein in
der Mitte und nach beiden Seiten herunter-
hängendes Schriftband mit den Worten: SOLI
QU OD ERANT FACERE POSSVNT
SAPIENTES (Soli, quod desideranl, facere
possunt sapientes).1) Links und rechts von
ihrem Gesichte steht PHILOSOPHIA. Auf
ihrem Haupte trägt sie eine Krone, aus der
nach Art der Helmkleinode drei Büsten hervor-
ragen mit den Beischriften (von links an)
ETHICA, PHISICA, LOG ICA. Links von
der Philosophia steht eine männliche, bärtige
Figur, die über ihrem Haupte den Namen
COCRATES trägt, rechts eine kahlköpfige,
stumpfnasige mit dem Namen PLATO über
dem Haupte. Die eine Hand haben sie lehrend
erhoben, mit der anderen halten sie je ein grofses,
unten umgeschlagenes Schriftband, das sie von
der Philosophia trennt; auf dem linken steht
SOPHISTASINVA^DATIONSESERO
NISBEAT ■ SIVDICO; auf dem rechten:
NAT VRAM VIERSE REI QVERI DOC-
VIT (Naluram universae rei quaeri docuit)?)
Diese ganze Mittelgruppe wird im Kreise ein-
geschlossen von den Hexametern: \ SETEM
PER STVDO CET ARIES PHIOLSPHIA
EC ELEMENTORVM ■ SCRVR ■ ET

!) Vgl. Boetius »De consolatione philosophiae«
lib. IV: Veramque Main Piatonis esse «ententiam li-
quet, solos, quod desidcrent, facere posse sapientes;
s. Migne »Patrologia«, scr. Lat. 63, col. 796. —
AP in Ligatur.

*) Oder NNI.

'') Es fehlt der Ablativ philosophia.
 
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