Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 10.1897

DOI Artikel:
Keppler, Paul Wilhelm von: Gedanken über die moderne Malerei: Dritte Folge, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3832#0182

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
273

1897. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 9.

274

es thün; aber das Unmögliche kann er nicht
möglich machen, mit aller technischen Virtuo-
sität aus einem solchen Gegenstand keinen
wirklich malerischen und künstlerischen Reiz
herausziehen."

Ueberhaupt dürften die modernen Maler
bedenken, dafs wenn sie auch im Freien und
im Freilicht malen, sie eben doch nicht für's
Freie und für's Freilicht malen, sondern ihre
Bilder auch im reduzirten Licht des Glaspalastes
und im noch reduzirteren der Wohnzimmer
noch halbwegs als Gemälde wirken sollen; da-
mit ist die Nothwendigkeit einer gewissen Mo-
difizirung des Lichtes und Kolorits gegeben
im Interesse einer ge'treuen Wiedergabe der
Natur. Solist könnten sie in die Lage kommen,
das Klagelied des Schülers in „Künstlers Apo-
theose" anstimmen zu müssen:

„Ich stehe hinter meinem Stuhl
Und schwitze wie ein Schwefelpfuhl,
Und dennoch wird zu meiner Qual
Nie die Kopie Original.
Was dort ein freies Leben hat,
Das ist hier trocken, steif und matt;
Was reizend steht und sitzt und geht,
Ist hier gewunden und gedreht;
. Was dort durchsichtig glänzt und glüht,
Hier wie ein alter Topf aussieht."

Sehr bedenklich ist es ferner, dafs nach
Ausweis der letzten Ausstellungen gerade die
stärksten Farbenextravaganzen am meisten an-
steckend wirken, dafs es immer solche gibt,
welche bereit sind, jede Uebertreibung noch
einmal zu übertreiben, jedes Wagnifs und jedes
koloristische Jongleurstück zu überbieten, den
halben Wahnsinn in den vollen und tollen
hineinzusteigern; das ist doch ein klarer Beweis,
dafs die Farbengebung vieler weit mehr durch
die Nachäffung anderer als durch eigene intime
Berathung der Natur-bestimmt wird. Das Kolorit
ist ein Stück Mode geworden und die Mode
schlägt fast Jahr für Jahr um von einem Extrem
in's andere, von der grauen Stimmung in die
grelle, von der hellen in die dunkle, von der
eintönigen in die bunte, von einer kalten, öden,
stumpfen in eine brandig überhitzte, von einer
nebeltrüben in eine sonnenklare. So ist nach
und nach eine ganze Reihe von besonderen
Farbentechniken erstanden, welche die Eng-
länder, allen voran Frank Brangwyn, um eine
weitere vermehrt haben, die man etwa als Mo-
saik- oder Gobbelinmalerei bezeichnen mufs;
denn sie pflegt pastose Farbenkleckse wie

Mosaiksteine neben einander zu pflastern oder
zähe Farbenstränge zu einem groben Geflecht
und Gewebe zu verknoten. Auch diese Narr-
heit hat Schule gemacht, gerade so wie die
Nachäffung der japanischen und chinesischen
Malerei — meist eben ohne den dieser
Kunst eigenen feinen Farbensinn. So schlägt
ein unsinniges Vorstürmen mit der Losung:
Natur! Natur! und eine ungesunde Neue-
rungssucht wieder kläglich um in Manieris-
mus, Künstelei und Unnatur, — just in die
Fehler, welche der alten Malerei so derb vor-
gerückt wurden.

Aber das ist noch immer nicht das Schlimmste.
Die neue Lehre, dafs ein Gemälde vollenden
so viel heifse als es verderben, dafs der erste
Eindruck und der so rasch als möglich ihm
geliehene sinnliche Ausdruck der beste sei, dafs
nichts der Natürlichkeit einer Landschaft mehr
schade als langes Studifen, peinliches Zeichnen
und Detailliren, ist zu bequem, als dafs sie nicht
willigste Aufnahme gefunden hätte. Sie wirkte
wie ein Freibrief für jede Art von Oberfläch-
lichkeit, Flatterhaftigkeit und Nachlässigkeit und
legitimirte die Scheu vor ernstem Studium und
unverdrossener Arbeit.. Der Unterschied zwi-
schen fertigen Gemälden und Skizzen und Ex-
perimenten verschwand, und die öffentlichen
Ausstellungen, in welche man sich früher nur
mit ganz abgeschlossenen Arbeiten gewagt hatte,
wurden überschwemmt mit schülerhaften Skizzen,
stümperhaften Versuchen, Augenblickseinfällen
im Flug hingeworfenen Schmierbildern, welche
nun gar den Anspruch erhoben, als ächteste Er-
zeugnisse moderner Kunst gewerthet zu werden.
So mufs die moderne Flagge die elendeste Kon-
trebande decken und Trägheit und Mittel-
mäfsigkeit spielt sich auf als Genialität. Das ist
das widerlichste Schauspiel, welches die letzten
Ausstellungen boten und darin liegt die gröfste
Gefahr, welche der Kunst gegenwärtig droht.
Es ist ein Verdienst von Neumann, dafs er
diese Gefahr laut signalisirt und die Künstler-
schaft eindringlich verwarnt hat (a.a.O. S.89ff.),
— vielleicht nur noch nicht eindringlich und
energisch genug.

Ein zweiter Artikel, wird sich mit dem
Genre, dem Porträt, der Historie und der
Symbolmalerei, ein dritter mit der religiösen
Malerei befassen.

Freiburg. Paul Keppler.
 
Annotationen