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Zeitschrift für christliche Kunst — 10.1897

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Keppler, Paul Wilhelm von: Gedanken über die moderne Malerei: Dritte Folge, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3832#0207

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315

1897.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

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seit einiger Zeit mehrten sich die Bilder, auf
welchen musizirt wird und Farben, Formen und
Linien mitmusizirten. Jetzt hat man angefangen,
ganze Musikstücke zu malen. Friedrich Boden-
müller (München) schuf einen Cyklus Farben-
phantasien zur Cis-moll-Sonate von Beethoven.
Das Riesenbild zum Presto derselben war im
Glaspalast zu sehen: ein Ringeltanz von nackten
männlichen und weiblichen Körpern, Cenlauren
und Faunen, blitzdurchzuckte Wetterwolken, aus
welchen ein Genius herniederfährt. Musiker von
Fach mögen sich darüber aussprechen, ob sie in
diesergemalten Symphonie die Mondscheinsonate
wiederzuerkennen vermögen; uns scheinen, un-
mafsgeblich gesprochen, so schwerfällige Körper
ein etwas gar zu derbes Material zur Versinn-
lichung musikalischer Weisen.

Halt — unterbricht man uns hier — genug
und übergenug der unbefugten Kritik! „Die
Intoleranz des Urtheils gegen Leistungen, welche
den Urtheilenden als verwerflich erscheinen",
so lesen wir neuestens in Konrad Fiedlers
Schriften über Kunst (herausgegeben von Hans
Marbach, Leipzig 1897), „beruht auf der un-
berechtigten Annahme, dafs die Leistungen ihr
Dasein vor dem reflektirenden Verstand zu
rechtfertigen hätten". Ist es denn nöthig, fragt
man uns erregt, dafs du das Bild verstehst?
vielleicht verstehen es andere; und wenn niemand
es versteht, wenn es nur dem Geist, Gefühl,
Willen seines Urhebers entflossen ist, mehr ist
nicht nöthig. Maler schauen und empfinden
mit ihren verschärften und verfeinerten Sinnen
anders und anderes, als Laien, und sie müssen
das Recht haben, so zu malen wie sie sehen
und empfinden; sie zwingen uns, eine Welt
anzuerkennen, welche wir nie geschaut haben,
wohl aber sie. Wenn sie in künstlerischer
Exstase in andere Sphären entrückt die Bäume
roth und den Himmel grün und die Wiese
blau sehen, wenn sie die Farben tönen hören
und Melodien vernehmen, wo du nur wirres
Farbendurcheinander siehst, hast du das Recht
zu sagen: ich höre nichts, ich sehe anders, das
Bild taugt nichts?

So verlangt neuerdings die Symbolkunst
allen Ernstes, von der Kritik unbehelligt ge-
lassen und aufser Diskussion gestellt zu werden.
Wenn sie Räthsel aufgibt, welche niemand zu
lösen vermag und Geheimnisse in ihre Bilder
hineinpinselt, welche jenseits aller Fassungskraft
liegen, so hat der Beschauer blofs das Recht

zu sprechen: welch eine Kunst! welch gewal-
tige Räthsel und grofsartige Offenbarungen! ich
kann mir zwar schlechterdings nichts dabei
denken, aber wie tiefsinnig müssen folglich die
Ideen des Malers sein ! Diese Forderung geht
doch etwas weit. Will die Symbolkunst sich
der öffentlichen Kritik entziehen, so soll-sie
nicht öffentlich ausstellen, sondern ihre Elabo-
rate in magisch beleuchtete Geheimkabinette
verbringen, in welche nur mit sieben Sinnen
Begabte Einlafs erhalten. Man kann dem
Deutschen im Allgemeinen nicht den Vorwurf
machen, dafs er in diesem Punkt engherzig und
zu wenig entgegenkommend sei; sein roman-
tisches Gemüth läfst sich gern in's Reich des
Mysteriösen locken und gibt sich redlich Mühe,
in geheimnifsvoll dreinschauende Bilder noch
einen Sinn hineinzudeuten; „das ist schön bei
uns Deutschen", sagt einmal Heine, „keiner ist
so verrückt, dafs er nicht noch einen Verrück-
teren fände, der ihn versteht". Aber wo er
mit bestem Willen keinen Funken von Vernunft
mehr findet, da steigt ihm eben der Verdacht
auf, dafs im Bilde selber nichts Vernünftiges
sei; und diesem Verdacht und den lauten
Aeufserungen desselben kann die modernste
Ideen- und Symbolmalerei nicht entgehen.

Dafs wieder eine Gedanken- und Symbol-
kunst ihre Flüge wagt in's Reich rein geistiger
Ideen, das erscheint uns an sich, wie wir schon
früher betonten, nicht als schlimmes, sondern
als gutes Zeichen, nicht als eine rückläufige Be-
wegung, sondern als eine sehr gesunde und noth-
wendige. Wir wünschen daher durchaus nicht,
dafs das nur eine vorübergehende Episode sein
möge; wir wünschen, dafs diese Richtung er-
starke, vergähre und vernünftigere Bahnen ein-
schlage. Nicht, dafs Gedanken, sondern dafs
Gedankenlosigkeiten gemalt werden, ist der
Fehler; nicht dafs rein psychische Vorgänge und
Erfahrungen versinnlicht werden, sondern dafs
dies Psychische so wenig abgeklärt und die Ver-
sinnlichungsmittel so wenig abgewogen werden,
dafs das Psychische vom Sinnlichen oft ganz
erdrückt und erstickt wird; nicht dafs auch in
der Kunst transscendentes Denken und Streben
den Bann der sichtbaren Wirklichkeit sprengt,
sondern dafs dies Denken und Streben nicht
über den Dunstkreis des Aberglaubens und über
die heifse Schwadenluft spiritistischer Mystik
hinauskommt in eine reinere und hellere Atmo-
sphäre; nicht dafs die grofsen Fragen des
 
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