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Zeitschrift für christliche Kunst — 31.1918

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Dyroff, Adolf: Über Ideen in Bildern
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https://doi.org/10.11588/diglit.4276#0060

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Nr. 5, 6___________ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.___________47

klammern, sondern sich über den Füßen Christi falten und zugleich der Stirn
der heiligen Frau zur Unterlage dienen. Auf anderen Sterbebildchen bleiben
Hände und Angesicht Magdalenas bald mehr, bald weniger vom Jesuleichnam
entfernt; bald lehnt sie nur demütig-schmerzlich das Haupt an den mit Händen
zart umschlossenen Kreuzesstamm, bald hebt sie, ihren Körper sogar vom Kreuz
ferner haltend, die gefalteten Hände wie von weitem zu den hocherhobenen Füßen
empor, bald berührt sie, über einige große Steine sich beugend, nur mit der
Linken das Kreuz, in noch weiterem Abstand zum Erlöser sehnend in die Höhe
und hinüberschauend, wobei die auf ein Stützholz gestellten Füße des Gott-
menschen noch höher erscheinen. Selbst Amiconi, der mit Tiepola so stark ver-
wandte, erlaubt auf seinem prächtigen Magdalenabilde in der Abtei- (Prälaten-)
Kapelle zu Ottobeuren der Büßerin nicht die Zudringlichkeit wie mein unbe-
kannter Italiener. Man sieht, wie die Idee der Reue und Buße die Komposition
beeinflußt. Die Idee ist bei den Sterbebildchen durch den Zusammenhang, zu-
weilen durch ein beigediucktes „Mein Jesus, Barmherzigkeit!" gesichert. In der
Wallfahrtskirche von Tuntenhausen (Oberbayern) hat sie dahin geführt, daß eine
ältere kolorierte Darstellung des Motivs, nur der Abwechslung halber von einer
verwandten des Kruzifixus mit Johannes begleitet, an einer Seite der sämtlichen
Beichtstühle angeheftet ist. Das Thema ist außerdem ein Schulbeispiel dafür,
wie innere und äußere Komposition bei Gemälden auseinandergehen können.
Die äußere Komposition ist bei dem Thema „Magdalena am Kreuze" in den ver-
schiedenen Behandlungen überaus verschieden: hier fehlt Jerusalem, dort brennt
es, dort wieder nicht. Bei dem einen tritt das Salbgefäß deutlicher vor, bei anderen
zurück, bei wieder anderen fehlt es. Dieser Künstler bringt einen Totenkopf an,
viele vermeiden ihn. Bald ist Magdalena links, bald rechts vom Kreuze (nach
dem Beschauer gesagt). Engelchen sind zugegen oder mangeln (wie in neueren
Darstellungen meist) usw. Die innere Komposition aber bleibt im allgemeinen
die gleiche. Alle feinfühligen Künstler, die die Idee des Sündenschmerzes be-
sonders tief in sich aufgenommen haben, kommen wieder dem alten Motiv näher,
Magdalena vom göttlichen Leibe in geziemender Entfernung zu halten oder
doch nur in demütigster Stellung mit dem Kreuz in Verbindung zu bringen.

Wir müssen unsere Auseinandersetzung hier schließen. Das Wesentliche
ist zur Andeutung gelangt. Gerade die religiöse Kunst bietet der Idee die
größte Möglichkeit, sichtbar zu werden und zu wirken. Religiöse Gemälde
sagen daher selbst Andersgläubigen besonders viel, wie sich beobachten läßt.
Nur dem, der das Ohr vor den religiösen und moralischen Ideen künstlich
verschließt, bleiben heilige Bilder stumm. Innere Merkmale einer Idee können
ganz ungezwungen in örtlichen Beziehungen der Annäherung oder Entfernung
in besonderen Formen der Bewegungshnien, in Gebärden und Mienenspiel aus-
gedrückt werden. Attribute und Symbole sind nicht notwendig, wie etwa bei
Allegorien. Die Herausstellung einer Idee geschieht wesentlich symbolistisch. In-
dem Personen in äußerlich sichtbare Verhältnisse gebracht werden, sprechen sich
bei dem innigen Zusammenhang von Leib und Seele in ihren Gebärden und
gegenseitigen Stellungen ihre Gefühle und die den Gefühlen zugiunde liegenden
Vorstellungen natürlich und bestimmt aus. Die Idee ist imstande, sich zu ver-
körpern. Das Unsichtbare wird sichtbar.

Bonn. Adolf Dyroff.
 
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